Effekte gehen weit über die konkrete Konfliktlösung hinaus

Aktuelle Studie zur weltweit ersten Ombudsstelle für Crowdwork


Im Jahr 2015 hatten sich neun Crowdworkplattformen mit der IG Metall und dem deutschen Crowdsourcingverband in den Dialog begeben und später auf gemeinsame Grundsätze verständigt mit dem Ziel, Mindeststandards für die plattformvermittelten Arbeitsbeziehungen zu etablieren und die Professionalität dieser Arbeit voranzutreiben. Daraus entstanden ist die weltweit erste Ombudsstelle für Crowdwork, die bei der IG Metall angesiedelt ist und seit November 2017 arbeitet. Heiner Heiland, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Göttingen, hat in einer vom Haus der Selbstständigen in Auftrag gegebenen Studie, die Struktur, Prozesse und Effekte dieser Ombudsstelle für ortsungebundene Plattformarbeit, genannt Crowdwork, untersucht.


Besonders im letzten Jahrzehnt hat Crowdwork rasant an Bedeutung gewonnen: Analysen für Deutschland gehen von 100.000 bis 300.000 Personen aus, die mindestens einmal im Monat im Rahmen von Crowdwork arbeiten (Pongratz und Bormann 2017), und dem „Crowdworking-Monitor“ zufolge arbeiten in Deutschland ca. vier Prozent der Wahlberechtigten in irgendeiner Form der Plattformarbeit (Serfling 2018, 2019). Der Trend zeigt weiter nach oben, „sodass davon auszugehen ist, dass diese Art der Arbeit gekommen ist, um zu bleiben, und in Zukunft eine noch größere Relevanz einnehmen wird“, so Heiland in seiner Studie.

Crowdwork: „Gekommen, um zu bleiben“

Bei Crowdwork handelt es sich um virtuelle Arbeit – von Kleinstaufgaben über Produktbeschreibungen bis hin zur Erstellung hochprofessioneller Aufgaben wie Designaufträgen, Projektplanung oder Buchhaltung. Dabei konkurrieren die Bewerber*innen weltweit miteinander. Die Plattformen fungieren als Vermittlerinnen zwischen Kund*innen und Auftragnehmer*innen. Hier gibt es eine enge Verbindung zwischen Angebot und Nachfrage – und besonders dort, wo es sich um anspruchsvolle Arbeitsaufträge handelt, müssen sich die Plattformen um qualifizierte Anbieter*innen bemühen, wenn sie die zahlenden Kund*innen zufrieden stellen wollen. „Es geht für die Plattformen also auch um Imagefragen, wenn sie gut bezahlte Aufträge akquirieren und ihre hochqualifizierten Crowdworker*innen halten wollen“, erklärt Heiland.

Auch wenn der Ruf von Crowdwork nicht der beste ist – diese Form der Arbeit ermöglicht durch ihre hohe Flexibilität vielen Menschen, die am konservativen Arbeitsmarkt keine guten Chancen haben, ein Einkommen zu erzielen. Das können z.B. Personen sein, die durch Pflegeaufgaben, Kindererziehung, körperliche Einschränkungen oder Diskriminierung eingeschränkt sind. Menschen aus dem globalen Süden oder anderen benachteiligten Regionen eröffnet sich durch Crowdwork der Zugang zu den Arbeitsmärkten der westlichen Welt.

Nachteile sind vor allem die geringe soziale Absicherung der solo-selbstständig arbeitenden Crowdworker*innen sowie die ungleich verteilte Macht über Art und Umfang der Arbeitsprozesse auf Seiten der Plattformen. Dazu kommen fehlende Mechanismen zur Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten. Allgemein ist Plattformarbeit bis dato wenig bis gar nicht reguliert. Umso bedeutungsvoller ist die Selbstverpflichtung der neun international agierenden Plattformen auf einen Verhaltenskodex als Grundlage ihres unternehmerischen Handelns. Unterzeichnet wurde der Code of Conduct im Oktober 2017 von Vertreter*innen der Plattformen Testbirds, clickworker, content.de, Crowd Guru, Streetspotr und Shop Scout (mittlerweile unter einem Dach), AppJobber, Digivante und BugFinders. 2019 schlossen sich die Plattformen Jovoto und Textbroker an. „Es gibt auch immer wieder Anfragen von Plattformen, die sich dem Code anschließen wollen. Aber die Diversität in diesem Geschäftsfeld ist so groß, dass es nicht immer möglich ist, einen gemeinsamen Nenner zu entwickeln. Unter den Unterzeichnern des Verhaltenskodex besteht das gemeinsame Bestreben, nur diejenigen aufzunehmen, die zum Verbund passen“, erklärt Heiner Heiland.

Freiwillig vereinbarte Grundsätze

Im Code of Conduct, sind zehn „Grundsätze für bezahltes Crowdsourcing/Crowdworking“ festgehalten. Diese stellen eine „allgemeine Leitlinie für das eigene Handeln“ der Plattformen dar, die „ergänzend zur Gesetzgebung“ greift und „eine Basis für ein vertrauensvolles und faires Miteinander zwischen Plattformbetreibern und Crowdworkern“ schaffen soll. Konkret lauten die zehn Grundsätze:

  1. Gesetzeskonforme Aufgaben
  2. Aufklärung über Gesetzeslage
  3. Faire Bezahlung
  4. Motivierende und gute Arbeit
  5. Respektvoller Umgang
  6. Klare Aufgabendefinition und angemessene Zeitplanung
  7. Freiheit und Flexibilität
  8. Konstruktives Feedback und offene Kommunikation
  9. Geregelter Abnahmeprozess und Nacharbeit
  10. Datenschutz und Privatsphäre

In Grundsatz neun wurde festgehalten, dass die Plattformen „einen fairen, neutralen Prozess für Beschwerden von Seiten der Crowdworker*innen“ festlegen. Erst, wenn „bilaterale außergerichtliche Lösungswege erfolglos ausgeschöpft“ wurden, kann die Ombudsstelle von Crowdworker*innen kostenfrei angerufen werden. Diese Institution, angesiedelt bei der IG Metall, ist paritätisch mit Vertreter*innen beider Statusgruppen (Crowdworker*innen und Plattformen) besetzt. Zusätzlich ist mit dem Deutschen Crowdsourcing Verband und der IG Metall eine Arbeitgeber- und eine Arbeitnehmervereinigung vertreten. Geleitet werden die Verfahren von einer neutralen und vermittelnden Person, die dem Gremium vorsitzt.

Soweit der institutionalisierte Konfliktlösungsweg, der durchaus angenommen wird, wie die Zahlen behandelter Fälle zeigt (2017: 7 Fälle, 2018: 23, 2019: 14). Was den Erfolg des Verhaltenskodex und der Ombudsstelle jedoch viel eindrücklicher unterstreicht, ist der Umstand, dass die allermeisten Fälle vorher einvernehmlich gelöst werden und deshalb gar nicht von der Ombudsstelle behandelt werden müssen. Sie tauchen also als „Fälle“ in der Statistik gar nicht auf. Und das ist gut so: „Gemeinsam mit den Mediator*innen des Büros der Ombudsstelle bei der IG Metall können Probleme angesprochen, behandelt und mehrheitlich gelöst werden“, weiß Heiner Heiland aus seinen Gesprächen mit Vertreter*innen und Stakeholdern von Code und Ombudsstelle.

Wirkung bereits vor der Eskalation von Konflikten

Die meisten Konflikte entstehen rund um Bezahlung und Abnahme von Aufträgen. Bei diesen oder anderen Unstimmigkeiten nimmt die Ombudsstelle eine wichtige Rolle als höhere Instanz ein, die bei Bedarf angerufen werden kann: „Einige der befragten Plattformen berichteten, dass etliche Konflikte mit Crowdworker*innen einvernehmlich oder auf Kulanzbasis gelöst werden konnten und so die Ombudsstelle gar nicht aktiv werden musste“, so Heiland. Die Plattformen haben damit die Möglichkeit, Probleme unmittelbar und ohne weitere Reibungen zu lösen. Und den Crowdworker*innen wird eine Handlungsalternative gegeben, die fernab des Communitymanagements der Plattformen existiert. „Die Ombudsstelle wird also nicht erst bei der Eskalation von Konflikten relevant, sondern sie wirkt bereits zuvor als vermittelnde Institution.“

Die Anrufung von Gerichten würde allen Seiten weit mehr Ressourcen abverlangen. Wie Befragte gegenüber Heiner Heiland äußerten, sei danach eine weitere Kooperation zwischen Plattform und Crowdworker eher unwahrscheinlich. Nach einem Schiedsspruch der Ombudsstelle oder der Konfliktklärung durch deren Büro wäre eine Fortsetzung der Arbeit für die betreffende Plattform jedoch nicht selten. Hinzu käme, dass die Teilnahme an der Ombudsstelle für die Plattformen auch eine entlastende Funktion habe, da die plattforminterne Klärung schwieriger Fälle oft sehr aufwändig sei.

„Darüber hinaus wirken der Code und die Ombudsstelle als verbindendes Glied und Forum für einen institutionalisierten Austausch der verschiedenen Akteur*innen, der auch in anderen Formen fortgeführt wird“, führt Heiland aus. So werden u.a. regelmäßig Treffen organisiert, um aktuelle Entwicklungen, Herausforderungen und weitere Themen zu besprechen. Die Plattformvertreter*innen lernen gegenseitig Prozesse und Strukturen der jeweils anderen Plattformen näher kennen, tauschen sich enger aus, lernen voneinander.

„Für mich persönlich war auch eindrucksvoll, dass Code und Ombudsstelle von den Plattformen selbst nicht als ‚nettes Feigenblatt‘ verstanden werden, sondern als nützliches und praktikables Konfliktlösungsinstrument. Darüber hinaus entsteht für sie natürlich ein Imagegewinn, der hilft, Preise gegenüber der Kundschaft zu rechtfertigen“, resümiert Heiner Heiland. Zwar ist noch nicht untersucht, inwiefern sich das Bewusstsein auch bei den Crowdworker*innen verändert hat – die gegenwärtigen Erkenntnisse lassen aber auf eine win-win-Situation schließen. Die Ombudsstelle Crowdwork hat zweifellos zukunftsweisende Wirkung und soll fortgeführt werden. Eine Ombudsstelle als deeskalierende Instanz, die über die individuellen Handlungsoptionen und Angebote der Auftraggeber (hier: Plattformen) hinaus geht – diese im Crowdworking-Bereich praktizierte und erprobte Einrichtung könnte nachdenkenswert auch für andere Bereiche der solo-selbstständigen Arbeit sein? Heiner Heiland ist hier skeptisch. Zu groß sei die Diversität verschiedener Branchen. Es bräuchte, so seine Auffassung, „Anlaufstellen für verschiedene Berufsgruppen“ wie z.B. Journalist*innen, an Volkshochschulen oder im Transportwesen Tätige usw.


Die neue Expertise von Heiner Heiland mit dem Titel „Die Ombudsstelle Crowdwork: Analyse ihrer Struktur, Prozesse und Effekte“ wird voraussichtlich im Herbst 2022 veröffentlicht.


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