Auf der März-Tagung des Arbeitskreises „Arbeit der Selbstständigen“ tauschten sich Soziolog*innen über die aktuelle Forschung zur sozialen Absicherung von Selbstständigen aus…
Krankheit, Alter, Pflege, Schwangerschaft, Geburt, Kindererziehung, Auftragslosigkeit – Das sind die Herausforderungen, denen Menschen in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind. Sie können zu sozialen Risiken werden. Für Arbeitnehmer*innen sind die gesetzlich verpflichtenden Sozialversicherungen – Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung – dazu da, diese abzufedern. Ein Anspruch auf bezahlten Mutterschutz und Elterngeld kommen (unter anderem) hinzu.
Doch wie steht es um die soziale Absicherung von Selbstständigen und von sogenannten „hybriden Erwerbstätigen“, also jenen, die zusätzlich eine Anstellung oder weitere selbstständige Tätigkeiten haben?
Arbeitskreis „Die Arbeit der Selbständigen“
Dieser Frage widmete sich eine Fachtagung von Soziolog*innen am 16./17.März, die sich im Arbeitskreis „Die Arbeit der Selbständigen“ in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zusammengeschlossen haben. Fachtagungen dienen der wissenschaftlichen Community dazu, in den Austausch über Forschungsergebnisse zu kommen, durch kritische Nachfragen anderer prüfen zu können, ob die eigenen Erhebungen Hand und Fuß haben oder auch um zu realisieren, dass sich die eigenen Ergebnisse mit denen anderer decken (und ein soziales Phänomen offenbar richtig erfasst wurde). Mitunter werden bisher unerforschte Themen entdeckt, Kooperationen angebandelt und entwickelt sich durch das Zusammentreffen vielfältiger Beiträge plötzlich ein neues Gesamtbild zu einem Forschungsfeld.
In einigen Beiträgen bzw. den ihnen zugrundeliegenden Studien wurde deutlich, dass die Corona-Pandemie Lücken in den sozialen Sicherungssystemen für Selbstständige sichtbar gemacht hat, die allerdings schon seit langem bekannt sind. So berichtete Karin Schulze Buschoff, dass jede*r dritte Selbstständige sein*ihr Arbeitsvolumen reduzieren und damit auch Einkommensverluste verbuchen musste. Während Arbeitnehmer*innen Kurzarbeiter*innen- oder Arbeitslosengeld 1 beziehen konnten, gab es diese Möglichkeit für Selbstständige nicht. Dies verweist auf die Notwendigkeit, sie in die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen. Überlegungen dazu, wie es aussehen kann, wenn Selbstständige gegen Auftragslosigkeit versichert sind, stellte Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vor. Formal sei das bereits jetzt möglich, praktisch sei es jedoch kaum, da der Zugang restriktiv sei und die Arbeitslosenversicherung für Selbstständige eher einer für ehemalige Angestellte gleiche.
Sicherungssysteme für SoloS
Ideen und Möglichkeiten Selbstständige in die Rentenversicherung einzubeziehen, stellte Wolfgang Buhl, vom Geschäftsbereich „Forschung und Entwicklung“ der Rentenversicherung Bund, vor. Viele Selbstständige sorgten zu wenig und zu spät für ihre Alterssicherung vor, da es sich um eine Investition handelt, die nicht jetzt sondern in einer fernen Zukunft wirkt. Auch beim abendlichen Panel zum Thema Alterssicherung warben Vertreter*innen der Rentenversicherung für die Idee einer Pflichtversicherung auch für Selbstständige: Sie entlastet von der Entscheidung sich permanent mit Alterssicherung auseinandersetzen zu müssen, sie kann (richtig ausgestaltet) sozial umverteilend wirken und sie führt dazu, dass alle Betroffenen zur gleichen Zeit diese Kosten in ihre Honorare einkalkulieren müssen (und damit keine Wettbewerbsnachteile entstehen).
Dies stieß bei einem Vertreter des Bund der Selbstständigen auf wenig Gegenliebe, der – ein unternehmerisch geprägtes Bild von innovativer, wohlhabender Selbstständigkeit vor Augen – ein flammendes Plädoyer für die Wahlfreiheit in den Sicherungssystemen hielt (gemeint ist, sich gesetzlich, privat oder gar nicht zu versichern).
Deutlich wurde, dass die Fragen, die entstehen, wenn man Selbstständige in bestehende Systeme integrieren möchte, ähnlich sind: Wer gehört zum Kreis der Anspruchsberechtigten? Dürfen/sollen sich alle versichern oder nur die, die ab einem Stichtag selbstständig werden? Gilt eine Pflicht- oder Freiwilligenversicherung? Woran bemessen sich Beitragshöhen? Welche Behörden müssen kooperieren, um an Einkommensdaten zu kommen? Welche Regelungen werden von Selbstständigen akzeptiert und gesellschaftlich als gerecht empfunden? Was ist politisch durchsetzbar?
Bestimmte Berufsgruppen sind bereits über besondere Sicherungssysteme einbezogen. So können sich Künstler*innen und Kulturschaffende in der Künstlersozialkasse (KSK) versichern und müssen dort nur ihr Äquivalent des Arbeitnehmer*innenanteils einzahlen. Von ihrer Situation berichteten Verena Tobsch und Axel Haunschild, die sich im Forschungsprojekt „Systemcheck“ mit deren sozialer Absicherung befassen. Hier stellt sich das Problem, dass die Einzahlungen der Künstler*innen und Kulturschaffenden aufgrund niedriger Einkommen gering sind (infolge niedriger öffentlicher Förder- und Projektmittel) und ihre Alterssicherung oft unter dem Grundsicherungsniveau liegen wird.
Besonderheit: Plattformselbstständige
Einen Blick auf die soziale Sicherung von Plattformselbstständigen warf ein anderes Forschungsprojekt, das Fabian Beckmann, Sabrina Glanz, Fabian Hoose und Serkan Topal vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE) vorstellten. Ihre Online-Befragung von selbstständigen Plattformbeschäftigten, von denen viele nur geringe Einkommen generieren, zeigte, dass sie in dieser Tätigkeit nicht abgesichert sind und sie zugleich auch nur geringe Ansprüche an soziale Sicherung und Regulierung haben. Die Forscher*innen problematisierten das, weil dahinter die gezielte Auslagerung von Verantwortung durch Plattformen stünde und diese mit ihren Narrativen einen Beitrag zur normativen Aushöhlung der Institutionen sozialer Sicherung leisteten.
Die Tagung endete mit einem interessanten Rundgespräch darüber, welche sozialen Sicherungsfelder für Selbstständige über (den gut beforschten Themen:) Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung hinaus noch relevant sind. Hier stand das Thema Mutterschutz und selbstständige Erwerbstätigkeit im Vordergrund, das von einem Input von Ursula Rust, Universität Bremen, inhaltlich unterfüttert wurde. Kaum einer*m Anwesenden war bewusst, dass aus § 192, 5 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) durchaus ein Anspruch abgeleitet werden kann, allerdings verbunden mit Hürden und diskriminierenden Regelungen. Im anschließenden Gespräch mit allen Tagungsteilnehmer*innen zeigte sich, dass das Thema kaum beforscht ist.
Text: Pia Probst
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