Ein bisschen mehr Italien

Unter dem Motto „Es braucht mehr Bewegung!“ versammelten sich ein gutes Dutzend Solo-Selbstständige am 9. Dezember 2023 im Leipziger Haus der Selbstständigen (HDS). Viele von ihnen hatten ihre Kinder zur Veranstaltung in Kooperation mit KREATIVES SACHSEN (KS) und other writers mitgebracht. Die zentralen Fragen dieses spannenden Vormittags: Wie kinderfreundlich ist unsere Gesellschaft? Wie müssten Rahmenbedingungen für solo-selbstständige Eltern gestaltet werden, um ein gutes Leben führen zu können – auch mit Familie? …


Doch warum nur gebären wir Kinder?

Die Kinder konnten gut behütet spielen, während sich ihre Eltern über den Drahtseilakt austauschten, den Selbstständige vollführen müssen, wenn sie sich für Nachwuchs entscheiden.„Doch warum nur gebären wir Kinder?“, fragt Clemens Böckmann in einem seiner Texte und lässt die Antwort offen. Der Leipziger Autor sowie die bildende Künstlerin Franziska Junge und die Musikerin Anne Munka gaben als Podiumsgäste Einblicke in ihren Alltag, in dem sich Berufliches und Privates nicht wirklich trennen lässt. Denn künstlerisches Schaffen findet nicht losgelöst vom übrigen Leben statt. Es erfordert die ganze Person in ihren Facetten und Werke werden vom Umfeld zwangsläufig beeinflusst. Das können die Kinder selbst sein oder die oft widrigen, kräftezehrenden Bedingungen, unter denen Kreativität leiden kann – von „Produktivität“ ganz zu schweigen.

Drei Künstler*innen – drei Biografien

Junge, Munka und Böckmann berichteten aus ihrer aktuellen Arbeitssituation, richteten aber auch Blicke zurück in die Zeit, als ihre Kinder noch Babys waren… „Ein Kind stellt die Welt auf den Kopf“, zitierte Moderation Friederike Kislinger den alten Spruch, in dem viel Wahres steckt: „Ich habe das genau so empfunden“, gestand sie. Auch Anne Munka erlebte die Mutterschaft bei ihrem ersten Kind als „zwischenzeitlichen Stillstand“, der sich zunächst fremd anfühlte. Gleichzeitig, so berichteten alle vier Personen auf dem Podium, zwinge die Elternschaft in Routinen und Strukturen, um künstlerische Arbeit überhaupt zu ermöglichen: „Unser Kind hat vor allem auf die Form meiner Arbeit massiven Einfluss – sie ist nun weniger impulsiv und affektiv, sondern mehr geplant und konzentriert. Das ist nicht schlechter, aber anders als vorher“, sagte Clemens Böckmann. Er engagiert sich bei other writers, dem bundesweit größten Netzwerk von Autor*innen mit Kindern.

„Improvisationstalent ist gefragt“, sagte Franziska Junge schmunzelnd und gestand, dass die Überforderung als Mutter anfänglich groß war. Ihr zeichnerisches Tagebuch, in dem sie jahrelang jeden Tag in einem Bild festgehalten hatte, kam nach der Geburt ihres ersten Kindes ins Stocken: „Ein rundes Jahr malte ich täglich Nicht-Bilder, nämlich nur leere Rahmen.“ Sie hatte bis kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes in einem Theaterprojekt gearbeitet und kurz danach einfach weitergemacht. Für freie kreative Arbeit wie ihr Tagebuch blieb kein Raum. „Später, dann mit zwei Kindern, veränderten sich die Anforderungen an uns noch einmal“, sagte Junge. „Wir haben das Elternpubertät genannt, weil wir unsere Rollen immer wieder neu aushandeln mussten“, so Anne Munka, die auch zwei Kinder hat. „Aber Wachstum passiert, auch wenn es sich zwischenzeitlich mal anfühlen kann wie ein Rückschritt“, machte die Musikerin allen Solo-Selbstständigen mit Kinderwunsch Mut zum Nachwuchs – trotz der schwierigen Rahmenbedingungen.

Was sind Kinder unserer Gesellschaft wert?

Sich als Familie zu organisieren und dabei kreativ tätig zu sein, ist eine riesige Herausforderung. Doch wie ließen sich Kunstbetrieb und Förderstrukturen familienfreundlicher gestalten? Mehr noch: Wie kann Solo-Selbstständigkeit aus dem Status der „atypischen Beschäftigung“ herausgelöst werden?  Einig waren sich alle darin, dass grundsätzlich beantwortet werden muss, was Kinder einer Gesellschaft wert sind. „Ein bisschen mehr Italien wäre schön“, sagte eine Teilnehmerin. Dort herrsche ein gesellschaftliches Klima, in dem Kinder willkommen sind und nicht als „Störfaktoren“ begriffen werden.

In Deutschland sind bezüglich des Mutterschutzes Angestellte und Selbstständige eigentlich gleichgestellt – doch in der Realität führten z.B. die starren Regelungen zum Elterngeld zu existenziellen Problemen. Konkret wünschen sich solo-selbstständige Eltern Rückenstärkung statt misstrauischer Kontrolle. Es braucht niedrigschwellige und besser vernetzte Hilfsstrukturen, in denen kompetente Menschen als Partner wirken. Statt dem Klein-Klein in den Bundesländern würden bundesweite Lösungen für Transparenz und Klarheit sorgen. Kinderbetreuung sollte immer mitgedacht werden und grundsätzlich besser bezahlt werden. Und nicht zuletzt müssten die Honorare von Solo-Selbstständigen so gestaltet sein, dass sie existenzsichernd sind, auch mit Kindern. 

Das Thema „Solo-selbstständig mit Kind(ern)“ wird uns auch im kommenden Jahr begleiten: Die aktiven Eltern werden an ihren Forderungen weiterarbeiten und ihre Netzwerke mit anderen bestehenden verknüpfen. KREATIVES SACHSEN und das Haus der Selbstständigen als Institutionen für die Interessenvertretung von Solo-Selbstständigen wird sie weiterhin unterstützen, ihre Anliegen wirkungsvoll an die politischen Entscheidungsgremien zu richten.

Textund Foto: Gundula Lasch


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