Wie der „Fair Pay!“-Prozess des BFDK zu gerechten Honoraren und einer guten Absicherung für darstellende Künstler*innen führen soll. Bericht über einen kollektiven Ansatz und einen Besuch bei der „4. Fair Pay!-Werkstatt“ in Erfurt. Ein Blogbeitrag von Pia Probst…
Ein Kernanliegen des Hauses der Selbstständigen (HDS) ist es, kollektive Ansätze, mit denen sich die Situation Solo-Selbstständiger verbessern lässt, sichtbar zu machen und bei ihrer Umsetzung zu unterstützen. „Kollektive Ansätze“ – das klingt für unsere Zielgruppe und manchmal sogar für uns selbst abstrakt und wenig greifbar. „Kollektiv“, d.h. gemeinsam… Wen meint das, wie geht das und wozu ist das da? Der „Fair Pay!“-Prozess ist ein solcher kollektiver Ansatz. Wie es der Name sagt, geht es um „gerechte Bezahlung“. Der Prozess wurde initiiert vom Bundesverband der Freien Darstellenden Künste (BFDK) und wird gemeinsam mit dessen Landesverbänden ausgerichtet. Im November 2023 besuchte ich die vierte „Fair Pay! – Werkstatt“ in Erfurt. In diesem Beitrag will ich vom Prozess und meinem Besuch in Erfurt berichten.
Der BFDK vertritt die Interessen von ca. 27.000 freien, d.h. nicht-städtischen oder staatlichen Spielstätten, Gruppen und freiberuflichen Tanz- und Theaterschaffenden. Das sind unter anderem Produzent*innen, Kurator*innen, Dramaturg*innen, Schauspieler*innen, Tänzer*innen, Marionettenspieler*innen, Choreograf*innen, Theaterautor*innen und Kostümbildner*innen. Er setzt sich für die „nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der sozialen Absicherung für Akteur*innen der freien darstellenden Künste ein“
Das Leben als darstellende*r Künstler*in ist prekär und kompliziert
Ein Großteil der darstellenden Künstler*innen arbeitet solo-selbstständig.[1] Das durchschnittliche Jahreseinkommen der Solo-Selbstständigen in diesem Bereich lag 2021 bei 20.500 €.[2] Dabei gibt es einen eklatanten Einkommensunterschied zwischen Frauen (17.751€) und Männern (24.884 €), d.h. einen stark ausgeprägten Gender Pay Gap. Niedrige Einkommen führen zu einer schlechten sozialen Absicherung: Zwar sind die meisten über die Künstlersozialkasse (KSK) renten-, kranken- und pflegeversichert, aber die Beiträge sind so niedrig, dass die Rentenerwartung 2021 für Frauen bei 674 € und für Männer bei 913 € lag.[3] Erschwerend kommt für Künstler*innen ein Sozialversicherungssystem dazu, das mit den komplexen Arbeits- und Lebensrealitäten in den darstellenden Künsten überfordert ist: Dazu gehören Mehrfach-Solo-Selbstständigkeiten, hybride Beschäftigung (sowohl parallel als auch nacheinander) und häufige Statuswechsel. Hier entstehen unverschuldet Versicherungslücken. Der Abschlussbericht zum „Systemcheck“-Projekt gibt darüber einen guten Überblick.
Im Übrigen profitiert die sogenannte Hochkultur, in Gestalt der institutionell geförderten Stadt- und Staatstheater, von der Prekarität freier Kulturschaffender: Während sie mit dem sprachlosen Publikum das Spiel „Überleben als Theaterautor*in“ spielte, machte Rafaella Badutski vom Verband der Theaterautor*innen klar, dass dort Stücke oft schlechter bezahlt würden als in der freien Szene. Fazit des Spiels: „Das Dasein als Theaterautorin ist prekär und kompliziert.“
Bei der Frage, wie Künstler*innen existenzsichernde Einkommen und einen ausreichenden sozialen Schutz erreichen können, gelangt man immer wieder zur Frage der Honorarhöhen.
Honoraruntergrenzen sollen einen Mindeststandard einziehen und Selbstausbeutung begrenzen
Der Bereich der freien darstellenden Künste ist kein Markt, auf dem Preise frei ausgehandelt werden können: Sowohl städtische, staatliche und privat geführte Bühnen und Projekte, die freiberufliche Künstler*innen beauftragen, als auch die Künstler*innen, die Projektgelder, Stipendien und anderes beantragen, sind von öffentlichen Fördermitteln auf kommunaler, Landes- und Bundesebene abhängig. Entsprechend der bereitgestellten Mittel werden von Auftraggebenden wie -nehmenden die Honorare kalkuliert. Sie sind zu niedrig angesetzt und lassen unbezahlte, aber ökonomische notwendige Tätigkeiten außer Acht. Dazu gehören u.a. die Konzeptionsarbeit für neue Projekte, die Akquise von Koproduktionspartner*innen oder die aufwendige Pflege von Netzwerken. Mitunter ist den Künstler*innen selbst nicht bewusst, dass diese Arbeiten in die Honorare einkalkuliert werden müssten. Angesichts der Förderstruktur stellten Teilnehmende und Referent*innen in Erfurt nicht zum ersten Mal fest: „Gefördert wird die Kunst, aber nicht die Künstler*innen.“
Aufgrund der prekären Lage hat der BFDK bereits 2015 eine Empfehlung für eine Honoraruntergrenze herausgegeben, die von Auftraggeber*innen und -nehmer*innen nicht unterschritten werden soll. Der Verband wirkt darauf hin, sie verbindlich in den Förderrichtlinien von Kommunen, Ländern und des Bundes zu verankern. Ziel einer Honoraruntergrenze ist es allen Betroffenen ein existenzsicherndes Einkommen zu ermöglichen und die bisher unbezahlten Teile der Arbeit sichtbar zu machen – sowohl den Auftraggeber*innen als auch den Solo-Selbstständigen selbst. Sie zeigt an, wieviel Kultur ohne massive Selbstausbeutung wirklich kostet. Das „Gemeinsame“ dieses kollektiven Ansatzes bezieht sich nicht nur auf Geld, sondern auch auf ein gemeinsames Bewusstsein UND Selbstbewusstsein.
Die Geschichte der Honoraruntergrenze – von den Teilnehmenden der „#4 Fair Pay! – Werkstatt“ liebevoll „HUG“ genannt – ist alt. Die Diskussion um Honorarempfehlungen begann bereits 2008/2009. Seit der Bundesverband seine Empfehlung aussprach, wurden Honoraruntergrenzen in den letzten acht Jahren kleckerweise von unterschiedlichen Kommunen und Bundesländern in ihre Förderrichtlinien übernommen. Prominente Beispiele sind die Stadt Kempten, das Land NRW und der Stadtstaat Bremen. In den letzten Jahren habe es insbesondere durch die Corona-Pandemie ein langsames Umdenken in Politik und Verwaltung gegeben, so die Einschätzung von Helge-Björn Meyer, Geschäftsführer des BFDK und Moderator der vierten „Fair Pay!“-Werkstatt. Zunehmend werde nicht mehr das „ob“, sondern das „wie“ diskutiert. Das ist ein Erfolg.
Die Honoraruntergrenze in einem gemeinsamen Prozess weiterentwickeln
Die HUG entspricht einem Einsteiger*innengehalt im Stadt- oder Staatstheater und spiegelt nur einen absoluten Mindeststandard wider, bei dem der Grad an Selbstausbeutung noch immer hoch ist. Darum starteten BFDK und seine Landesverbände 2022 den „Fair Pay!“ – Prozess: Der Verband möchte seine bisherige Honorarempfehlung weiterentwickeln, weil die HUG zu niedrig ist – z.B. mit Blick auf eine angemessene Altersvorsorge über Grundsicherungsniveau – und den Berufserfahrungen, Qualifikationen und individuellen Lebensumständen nicht gerecht wird. Ziel des „Fair Pay!“- Prozesses ist es, ein Stufenmodell zu entwickeln (so ähnlich wie man es aus Tarifverträgen kennt) und dann natürlich: es durchzusetzen.
Nicht nur das Mittel (Honorarempfehlung), sondern auch der Prozess, der dorthin führt, ist für sich genommen ein kollektiver Ansatz: Künstler*innen, Politiker*innen, Verwaltungsmitarbeiter*innen, Interessenvertreter*innen und Einrichtungsvertreter*innen tauschen sich gemeinsam über dessen Gestaltung aus. Sie bringen ihre Perspektiven ein: Kriterien für eine angemessene Berechnung und deren Relevanz, die real existierenden Finanzspielräume in der Politik oder die Schwierigkeiten, auf die Verwaltungen bei der Umsetzung treffen. Dadurch kann ein Modell entstehen, dass den Bedarfen der Betroffenen entspricht, in Politik und Verwaltung akzeptiert sowie realistisch(er) umzusetzen ist.
Etats sind knapp und nachhaltige Finanzierungsmodelle in weiter Ferne
In Erfurt wurden dementsprechend Erfahrungen dazu geteilt, wie Honoraruntergrenzen politisch umgesetzt und wo sogar mehr erreicht werden konnte, aber auch wo die nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten und zukünftigen Baustellen liegen.
Anschaulich wurde dies im Beitrag von Nicole Nikutkowski, Referentin beim Landesverband Freie Darstellende Künste Brandenburg, den ich aus der Fülle der Beiträge herausgreife (einen Mitschnitt des Livestreams findet ihr hier]: Die freie Szene erreiche in Flächenland Brandenburg mit ihren Angeboten 30 Prozent aller Zuschauer*innen und bekomme nur 3,7 Prozent der Mittel aus der Theaterförderung. Der Landesverband setzt sich darum seit langem für die Erhöhung der Mittel und die Einführung von Mindesthonoraren ein – mit Erfolg: 2023 einigten sich die Koalitionsparteien auf eine Mittelerhöhung von insgesamt 2,4 Millionen Euro sowie das Ziel, die empfohlenen Honoraruntergrenzen nicht zu unterschreiten. Darüber hinaus will man den Etatanteil für die freie Szene perspektivisch auf 10 Prozent erhöhen und an die Entwicklung des Gesamtetats für Theater koppeln, d.h. „dynamisieren“.
Im Schatten dieses Erfolges gibt es jede Menge offene Fragen, Probleme und Konfliktpotenziale, auf die bei der Durchsetzung von Honorarempfehlungen reagiert werden muss. Die Referentin brachte sie auf den Punkt: Die Kommunen, die eh‘ schon den größten finanziellen Beitrag für Kunst und Künstler*innen leisten[1], zahlen oft nicht entsprechend der Honoraruntergrenze. Ihnen fehlt schlicht die finanzielle Unterfütterung. Darüber hinaus stehen Zuschusserhöhungen für die freie Szene oft in Konkurrenz zueinander, sofern die Kulturetats nicht entsprechend stark wachsen: In einem Jahr gibt es Geld für die Sparte freies Theater, im nächsten Jahr für die freie Musik und im übernächsten für den Bereich Tanz. Als weiteres Problem kommt hinzu, dass es sich bei Zuschusserhöhungen in der Regel um einmalige Aufwüsche handelt, die immer wieder neu angemahnt, in politische (Kultur)Ausschüsse und Parlamente eingebracht und dort durchgesetzt werden müssen. Diese Arbeit bindet die Ressourcen von Interessenverbänden, während sich die Zuschüsse und damit verbundenen Honorare nie nachhaltig erhöhen. Daher stammt die Forderung den Etat der Freien Szene mit einer festen Prozentzahl an die Entwicklung des Gesamtetats Theater zu koppeln.
In Erfurt wurde auch deutlich, dass die politische Durchsetzung von Honorarempfehlungen, Wissen, Daten und Argumente auf Seiten der Interessenvertretungen braucht. Immer wieder bezogen sich die Anwesenden auf das Forschungsprojekt „Systemcheck“ des BFDK, das von 2021 bis 2023 durchgeführt wurde. Es lieferte quantitative und qualitative Daten dazu, wie es um die Einkommens- und Vorsorgesituation von darstellenden Künstler*innen steht. Die Beforschung und Sichtbarmachung von solo-selbstständigen Erwerbs- und Lebensrealitäten war ein wichtiger Teil des Ansatzes in einem öffentlichen, partizipativen Prozess Honorarempfehlungen zu entwickeln und gemeinsam, aber dezentral auf politischer Ebene durchzusetzen – eben eines kollektiven Ansatzes.
[1] Siehe: Statistische Ämter des Bundes und der Länger 2022: „Kulturfinanzbericht“, S. 25 (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Kultur/Publikationen/Downloads-Kultur/kulturfinanzbericht-1023002229004.pdf?__blob=publicationFile)
[1] Das statistische Bundesamt gibt für darstellende Künstler*innen im engeren Sinne eine Quote von gut 50% an (Destatis 2021: 21). Der Abschlussbericht der Systemcheck-Studie, der wesentlich genauer die komplexen Erwerbsrealitäten erfasst, gibt gut 90% an, darunter auch hybrid Erwerbstätige und mehrfach Solo-Selbstständige (BFDK 2023: 32). Hier könnt ihr nachlesen: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Kultur/Publikationen/Downloads-Kultur/spartenbericht-darstellende-kunst-5216103219004.html und https://darstellende-kuenste.de/sites/default/files/2023-10/BFDK_Systemcheck_Abschlusspublikation.pdf
[2] BFDK 2021: „Abschlussbericht Systemcheck“, S. 32; Die Künstlersozialkasse gibt für den Bereich Darstellende Künste eine ähnliche Zahl an: Zum 1. Januar 2023 betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen der Versicherten 20.731 Euro (Frauen: 16.755 €; Männer: 24.757 €). Die KSK unterscheidet dabei nicht nach selbstständig oder abhängig beschäftigt. (https://www.kuenstlersozialkasse.de/service-und-medien/ksk-in-zahlen, 09.12.2023)
[3] Nachzulesen im Bericht zur quantitativen Studie des BFDK: Tobsch/Schmidt/Brandt 2023: „Unterm Durchschnitt“, S. 35 (https://darstellende-kuenste.de/sites/default/files/2023-08/230824_DP_Unterm_Durchschnitt_0.pdf)
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