[Rückblick] Genossenschaften: Solo-Selbstständige im Kollektivbetrieb

Wie schaffen wir es selbstständig zu sein und gleichzeitig kollektiv wirtschaften zu können?


Was für Solo-Selbstständige in einem Kollektiv anders, ja besser wird, hat unser erstes digitales Forum am 27. Januar 2021 aus der Veranstaltungsreihe „Genossenschaften: Selbstbestimmt im Kollektiv“ gezeigt. Ideengeber*innen für das Forum mit dem Titel „How to do it: Genossenschaften im Handwerk“ waren junge Handwerksgesell*innen vom Kontor 80 Gelände im Leipziger Osten. Sie sind solo-selbstständig und stellen sich, wie viele Solo-Selbstständige, die Gretchenfrage: Wie die Selbstbestimmung behalten und die Risiken aufteilen? 

Es hat schon reizvolle Seiten, als Solo-Selbstständiger zu arbeiten, weil ich mich selbst takten kann. Gleichzeitig ist es aber eine enorme Belastung, für alles die Verantwortung und selbst alle Kosten zu tragen.

Remmi, Holzbildhauer und Messemonteur

Remmi, Kathrin und ihre anderen Kolleg*innen dachten darüber nach, welche Rechtsform ihren Vorstellungen von guter Arbeit im eigenen Betrieb am ehesten entspricht. Die Idee, einen Betrieb sowohl selbstbestimmt als auch solidarisch mit den Mitmenschen und der Umwelt führen zu können, spiegelt sich am ehesten in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaften wider.

Was sind Genossenschaften?

Gerade weil die Kernidee der Genossenschaften darin besteht, gesellschaftliche Interessen zu organisieren, möchten wir im HDS die Diskussion um Genossenschaften vorantreiben. Insofern mangelte es uns nicht an Ideen und Kontakten, das digitale Forum #1 mit insgesamt ca. 45 Beteiligten zu organisieren. Was Genossenschaften überhaupt sind und wie die formellen Voraussetzungen, die Rechte und Pflichten aussehen, darüber informierte uns Marie-Luise Killian. Sie berät und prüft im ältesten und größten Genossenschaftsverband, dem Verband der Region in der Geschäftsstelle Leipzig. Für uns stellte Marie-Luise Kilian eine sehr informative PowerPoint-Präsentation  zusammen. Remmi und Kathrin sowie einige Zuschauer*innen konnten ihr anschließend Fragen stellen.

Wir haben es gemacht: Ein Live-Bericht

In der Region Leipzig gibt es, wie auch bundesweit, leider nicht mehr viele Produktivgenossenschaften. Umso mehr freuten wir uns, als wir die Zusage bekamen und Jan und Flo von der konstruktiv eG bereit waren, ihre Genossenschaft im Forum vorzustellen. Deren Metall- und Stahlbaubetrieb befindet sich auf dem Gelände des Betonkiste-Kollektivs im Leipziger Westen und wurde zum 1. Mai 2018 in das Genossenschaftsregister als eG eingetragen. Vor allem zu Beginn ihrer Unternehmung seien sie „so losgeholpert“, wie Jan es nannte und die sogenannten Transaktionskosten der Selbstverwaltung waren am Anfang durchaus hoch (etliche unbezahlte Stunden in wöchentlichen Treffen neben der eigentlichen Arbeit). Mittlerweile haben sie „ziemlich viel zu tun“, wie Flo ergänzt. Nicht nur die Auftragslage ist gut, auch das Erwerbsverhältnis hat sich geändert: Mittlerweile sind alle sechs Genossen über die eG angestellt und können ihren gesamten Lebensunterhalt aus der Werkstattarbeit bestreiten.

Ein Bildschirmfoto der vortragenden Personen

Im Vortrag von Jan und Flo wurde auch einiges über das Projekt „Betonkiste“, dem Zuhause der konstruktiv eG berichtet, und die Neugier auf einen „schönen, selbstorganisierten und selbstverwalteten Ort“ geweckt. Besonders interessant war, vor allem für mich als Gewerkschafterin, die Frage nach der Entwicklung der Honorare bzw. den Gehältern. Diese haben sich im Vergleich zur früheren Solo-Selbstständigkeit nicht erhöht. Der Stundensatz, auf den sich die Genossen geeinigt haben, liegt nicht weit über dem Mindestlohn – aber da sie ihre Kräfte als eG gebündelt haben, können sie nun mehrere Aufträge parallel annehmen, was in der Solo-Selbstständigkeit nicht gut möglich war.

Vor- und Nachteile… und Vorteile

Wir diskutierten lange über die Vor- bzw. Nachteile der Produktivgenossenschaft. Christian Likos von der Handwerkskammer zu Leipzig betonte, dass der große Vorteil darin besteht, die Kosten und finanziellen Risiken zu teilen. Schließlich haftet in der Genossenschaft im Vergleich zu einer GbR beispielsweise niemand mit Privatvermögen, sondern die Genossenschaft mit ihren Geschäftsanteilen. Gerade im Handwerk haben die Einzelnen oftmals kein großes finanzielles Kapital. Insofern war der Hinweis von Marie-Luise hilfreich, dass es möglich ist, Sachwerte, also z.B. Maschinen, als Genossenschaftsanteile einzubringen.

Mir fiel eine gewisse Flexibilität der anwesenden Verbändevertreter*innen gegenüber diversen Optionen im Gründungsprozess positiv auf. Hierbei wiesen sie auch auf mögliche Nachteile, wie die aufwendige zweijährige Prüfung hin, der sich jede eG unterziehen muss und welche kostenpflichtig ist. Es sei auch mühsam und zeitraubend, sich im Kollektiv mit allen abzustimmen.

Der Mehraufwand wird dicke aufgewogen, gerade in Krisenzeiten. Eben dadurch, dass es mehrere Leute gibt, die zusammenhalten.

Elisabeth Voß, Teilnehmerin des Forums

Was ich als Moderatorin und Zuhörerin außerdem so überzeugend an der Vorstellung der konstruktiv eG fand, war die beeindruckende Tatsache, dass sie selbstverwaltet und ohne Hierarchien wirtschaften. Allein schon der Titel ihrer Präsentation machte Lust auf genossenschaftliche Arbeitsorganisation: „Arbeiten ohne Chef im Handwerk“. 

Herausforderungen gibt es natürlich auch in Kollektiven. Entscheidungen im Konsens zu treffen setzt einiges voraus und will gelernt sein. Da braucht es nicht nur, wie Christan Likos sagte „eine gute Streitkultur“. Es braucht vor allem auch den Sinn für solidarisches, kollektives Denken und die Bereitschaft zum politischen Handeln. Schließlich, um es mit Flos Worten zu sagen, ist die Genossenschaftsform eine gute Antwort auf die Frage, „wie wir arbeiten wollen, wie wir uns organisieren wollen und auch, wie wir leben wollen.”


Mein Fazit

Das Interesse an Selbstbestimmung und der Wunsch nach sozialer Zugehörigkeit sind auch in der Solo-Selbstständigkeit zwei Seiten derselben Medaille. Die eingetragene Genossenschaft scheint sich als Rechtsform besonders dafür zu eignen, beide Seiten miteinander zu vereinen. Vorausgesetzt, „man hat irgendetwas genossenschaftliches in der Birne“, wie es eine Teilnehmerin treffend sagte.

Wir sind gespannt, wie und ob Remmi, Kathrin und ihre Kolleg*innen in der Holzwerkstatt in die Richtung der Genossenschaft weiterdenken und ob sie sich durch den Austausch und die Infos aus unserem Forum ermutigter fühlen, die Gründung anzugehen.

Wir im HdS werden sie Schritt für Schritt weiter begleiten, dort wo wir können, gerne unterstützen und mit anderen zusammenführen.


Das HDS „als Knotenpunkt“

Viele positive Rückmeldungen erreichten uns auch nach der Veranstaltung im Chat. Und eben auch eine wichtige Frage: Kann das Haus der Selbstständigen eine Vernetzung von Kollektivbetrieben starten? Denn auch in einer Genossenschaft möchten Solo-Selbstständige vielleicht auch selbstständig bleiben. Unsere eindeutige Antwort: Na klar doch! Genau dafür sind wir schließlich da – für das Bündeln gemeinsamer Interessen und das Fördern kollektivrechtlicher Modelle.

Außerdem hat es uns wirklich Spaß gemacht, mit den Beteiligten gemeinsam das Forum zu organisieren. Das nächste folgt bald! In diesem Sinne verabschiede ich mich mit einem Gruß aus dem Chat: „Schön, dass es das hier gab!“

Weiterführende Links

Eine Datenbank der Förderprogramme des Bundes, der Länder und der EU:
https://www.foerderdatenbank.de/FDB/DE/Home/home.html
 

Weitere Infos zur Gründung im Genossenschaftsverband, Verband der Regionen e.V. finden sich unter:
https://www.genossenschaftsverband.de/genossenschaft-gruenden/genossenschaft-als-rechtsform/
 

Weitere Genossenschaftsverbände in der Region:
Über uns | GVTS (gvts-verband.de)
HOME – DEGP

Eine Liste der Kollektivbetriebe aus der ostdeutschen Region und bundesweit:  
https://kollektivliste.org/ 

Beispiele für Genossenschaften, die die Funktion von Vermittlungsagenturen übernehmen (hier für Kulturschaffende und aus dem Bereich IT-Services):
Smart – die Genossenschaft für Selbständige (smart-eg.de)
Wir über uns – Ein starkes Unternehmer-Team (it-projekt-eg.de)

HdS #Digitales Forum 1 „How to do it“ Genossenschaften im Handwerk, Marie-Luise Killian

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