Ja, das geht! Solos wählen ihre Vertreter*innen
Quasi zur Stunde wird bei Deutschlandradio (DLR) in Köln und Berlin gewählt: Zum ersten Mal sind die freien Mitarbeiter*innen des Senders aufgerufen, vom 25. bis 28. Mai ihre Freienvertretung zu bestimmen. Das neue Gremium soll sich in Zukunft für die Interessen aller arbeitnehmerähnlich Beschäftigten – also für jene, die vom Sender wirtschaftlich abhängig und schutzbedürftig sind – stark machen. Das wären rund 650 selbstständig tätige Mitarbeiter*innen, die Anspruch auf Urlaubsgeld unmittelbar beim DLR haben. Geht es nach der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, sollten aber alle einbezogen werden, für die die Kriterien der freien Tätigkeit bei DLR und der ARD zutreffen – das wären 95 Prozent aller Freien beim DLR.
Dieser ersten Wahl einer Freienvertretung beim DLR ist ein langer Prozess vorausgegangen: Es brauchte viel Verhandlungsgeschick und Zeit, bis die Gewerkschaften – die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Deutsche Journalistenverband DJV – Intendanten und Verwaltungsrat des DLR überzeugt hatten, ein Freienstatut im November 2020 verabschiedet und vom Intendanten Stefan Raue erlassen wurde. Damit soll entsprechend den Vorgaben des DLR-Staatsvertrags von 2018 eine institutionalisierte Vertretung für die Interessen arbeitnehmerähnlich Beschäftigter gewährleistet werden. Das Statut regelt unter anderem die Modalitäten der Wahl sowie die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Freienvertretung. Damit war der Weg frei: Mitte Januar 2021 wählten die arbeitnehmerähnlichen Freien des Senders auf ihrer ersten Versammlung einen Wahlausschuss für die Wahl der Freienvertretung.
Die Freienvertretung wird insgesamt neun Vertreter*innen aus Köln und Berlin umfassen, wobei Geschlechter, Standorte und Programme gleichberechtigt repräsentiert sein sollen. Anders als beim Personalrat wird die Wahl keine Listenwahl sein. Das heißt, jede*r Wahlberechtigte kann aus den zur Wahl stehenden 16 Kolleginnen und 13 Kollegen maximal neun für die Freienvertretung auswählen. 18 der Kandidat*innen arbeiten in Köln, elf in Berlin. Sie wollen sich u.a. für gleichberechtigte Teilhabe, Vernetzung, Diversität, mehr Transparenz und gegen eine Spaltung von Festen (Angestellten) und Freien (Solo-Selbstständigen) im DLR einsetzen. „Das Deutschlandradio ist auch unser Haus. Wir geben uns Freien eine Stimme.“ so das Motto einiger Kandidat*innen.
Gleichzeitig gibt es viel Kritik an der fragwürdigen Wirksamkeit des Freienstatuts, denn es garantiert den Freien im DLR keine echten Mitbestimmungsrechte. Zwar können sie ihre Probleme gegenüber dem Intendanten artikulieren, haben aber keine Handhabe, eventuelle Maßnahmen der Senderleitung zu stoppen. Zudem wird das Freienstatut einseitig vom Intendanten erlassen, es kann auch genauso einseitig wieder zurückgenommen oder verändert werden. Echte Mitbestimmung hingegen basiert auf klaren Strukturen und Verantwortlichkeiten. Um die zu schaffen, hatten die Gewerkschaften angeboten, einen Tarifvertrag abzuschließen, der die Rechte der Freienvertretung so ähnlich regelt, wie das Bundespersonalvertretungsgesetz die Rechte der Personalvertretung. Doch darauf ließ sich die DLR-Leitung nicht ein. Dennoch – so sind sich die meisten einig – die neue Vertretung für Freie ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Schließlich gab es zuvor überhaupt keine Vertretung für Freie.
Als leuchtendes Beispiel für die Interessenvertretung von Freien kann der Westdeutsche Rundfunk (WDR) herangezogen werden, denn für den gilt das Landespersonalvertretungsgesetz von NRW: Hier sind Freie im Personalrat vertreten und nehmen auch aktiv an den Wahlen zum Personalrat teil. Das Bundespersonalvertretungsgesetz für arbeitnehmerähnlich tätige Selbstständige zu öffnen, ist eine langjährige Forderung von Gewerkschaften.
Weiterführende Links
Warum viele Rundfunkanstalten versuchen, die Fiktion von „völlig unabhängigen“ freien Mitarbeiter*innen aufrechtzuerhalten, und wie beim DLR Personalrat und die neue Freienvertretung zusammenarbeiten könnten, erklärt Manfred Kloiber, Vorsitzender des ver.di-Senderverbandes DLR in Köln und selbst Freier, im Interview mit M – Menschen machen Medien
Das Bundespersonalvertretungsgesetz für Freie öffnen! – Diese Haltung vertritt ver.di seit langem und Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz bekräftigte die Forderung nach Mitbestimmung von freien Mitarbeitenden auch in Personalräten des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks. Im Februar richtete er sich mit Briefen direkt an die Mitglieder der Bundestagsausschüsse für Inneres sowie Kultur und Medien, um sich in die Debatte um die Gesetzesnovelle einzumischen. Warum Freienstatute nur eine Lösung zweiter Klasse sein können, ist hier nachzulesen.
Geschlossene Mailingliste dradiofreie
Für Freie Mitarbeiter*innen im Deutschlandradio gibt es (zum Austausch und zur besseren Vernetzung) die dradiofreie-Mailingliste Freienwort. Die Liste läuft als geschlossene Liste, die ihr abonnieren könnt. Hier geht’s zur Anmeldung.
Ein Beitrag von Gundula Lasch, freie Mitarbeiterin im HDS, Foto-Collage: ©Ellen Wilke (Original DLR)
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