Wir verbringen einen Großteil unseres Lebens mit Arbeit, deswegen ist die Arbeits- auch entscheidend für die Lebensqualität. In verschiedenen Untersuchungen wird immer wieder gezeigt, dass Selbstständige eine hohe Arbeitszufriedenheit haben, zugleich sind Themen wie work-life-balance und mental health auch untrennbar mit dem Schlagwort selbst & ständig verbunden. Wir schauen daher genauer hin und fragen in unserer großen Online-Erhebung zu den Arbeitsbedingungen von Solo-Selbstständigen: Was stiftet Zufriedenheit? Und was stresst?
Es geht also um Gute Arbeit für Solo-Selbstständige. Aber was wird unter dem Begriff Gute Arbeit verstanden? Und warum ist es so wichtig, valide Daten zu diesem Thema zu sammeln? Wir sprachen mit den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Dr. Anne Röwer, Pia Probst und Rina Depperschmidt, die den Fragebogen gemeinsam mit der Projektleiterin Ines Roth entwickelt haben.
Ihr habt jetzt über ein Jahr an einem Fragebogen zu den Arbeitsbedingungen aus Sicht von Solo-Selbstständigen gearbeitet. Worum geht es darin?
Dr. Anne Röwer: Das HDS ist ein gefördertes Projekt und wir haben den Auftrag Solo-Selbstständige und ihre Interessengemeinschaften dabei zu unterstützen, die Arbeitsbedingungen und Vergütungssituation von Solo-Selbstständigen zu verbessern. Und wenn wir Verbesserungen anstreben, müssen wir zunächst schauen, wie der Status quo aussieht: Wie schätzen Solo-Selbstständige, die eine sehr heterogene Erwerbsgruppe und in ganz unterschiedlichen Berufen und Branchen tätig sind, ihre Arbeitsbedingungen ein? Dabei war uns wichtig, die Solo-Selbstständigen selbst nach ihrer Wahrnehmung der Arbeitsbedingungen zu fragen – sie sind die Expert*innen ihrer Arbeitssituation. Gute Arbeitsbedingungen sind solche, die das Wohlbefinden und die Gesundheit erhalten und fördern, nicht beeinträchtigen oder schädigen. Welche Arbeitsbedingungen genau in der Selbstständigkeit zu Zufriedenheit und Gesundheit beitragen und welche hingegen mit Stresserleben verbunden sind, das wollen wir genauer herausfinden. Für abhängig Beschäftigte gibt es dazu viel Forschung und einen breiten öffentlichen Diskurs um Gute Arbeit – für Solo-Selbstständige sind die Befunde bisher bruchstück- und lückenhaft.
Pia Probst: Es geht auch um einen Anspruch an Arbeit, die nämlich gute Arbeit sein soll, und wie dieser für Solo-Selbstständige formuliert werden könnte. Denn sie sind Erwerbstätige wie abhängig Beschäftigte auch – und demzufolge sollten sie gleichbehandelt und auch über Gute Arbeit für Solo-Selbstständige gesprochen werden. Dazu möchten wir Datenlücken füllen und damit Initiativen und Verbände in ihrer politischen Arbeit unterstützen.
Ihr sprecht im Zuge der Erhebung auch von Guter Arbeit und Arbeitsqualität, was steckt dahinter?
AR: Wenn von der Qualität von Arbeit, Arbeitsqualität oder Guter Arbeit die Rede ist, dann geht es um die Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive sind der Maßstab der Bewertung bzw. der „Güte“ von Arbeitsbedingungen die arbeitswissenschaftlichen Kriterien menschengerechter Arbeitsgestaltung bzw. humaner Arbeitstätigkeiten. Das bedeutet grundlegend, dass die Arbeit überhaupt ausführbar ist und nicht die Fähigkeiten und Kräfte übersteigt (Ausführbarkeit). Außerdem darf durch die Arbeit das Wohlbefinden nicht beeinträchtigt (Beeinträchtigungsfreiheit) sowie die körperliche und psychische Gesundheit nicht geschädigt (Schädigungslosigkeit) werden. Und schließlich soll Arbeit es ermöglichen, eigene Fähigkeiten und Potenziale weiterzuentwickeln (Persönlichkeitsförderlichkeit).
Wenn man dann eine konkrete Arbeitssituation ansieht und schaut, ob sie in diesem Sinne gut gestaltet ist, kommen ganz verschiedene Arbeitsbedingungen in den Blick. Arbeitsbedingungen können unterschiedlich beschaffen sein – sie haben selbst wiederum, so kann man sagen, unterschiedliche „Qualitäten“ im Hinblick darauf, wie sie auf das subjektive Erleben sowie Befinden und Gesundheit wirken. Es gibt zum einen körperliche und psychische bzw. psychosoziale Arbeitsanforderungen, die als Risikofaktoren einzuordnen sind. Wir sprechen dann von Gefährdungen oder, wenn es um psychische Anforderungen und Stress geht, v.a. von Stressoren oder Belastungen. Zum anderen gibt es auch Arbeitsbedingungen, die als Schutz- oder Widerstandsfaktoren wirken, weil sie dabei helfen, die Arbeitsanforderungen gut zu bewältigen und Stress „abzupuffern“ (weiterführende Infos dazu finden sich auch hier). Wir sprechen dann von Ressourcen.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Arbeitsbedingungen, die durch wenige Belastungen und ein hohes Maß an Ressourcen gekennzeichnet und daher für Befinden und Gesundheit nicht schädlich, sondern förderlich sind, diesen Gütekriterien menschengerechter oder guter Arbeit natürlich eher entsprechen als solche, die durch hohe Belastungen und wenige Ressourcen gekennzeichnet sind und insofern gesundheitsschädigend wirken können.
Wie funktioniert der Fragebogen und welche Aspekte werden darin abgefragt?
PP: Zuerst werden die für Umfragen gängigen Fragen gestellt – die nach Alter, Geschlecht, Wohnregion, Beruf, haupt- oder nebenberuflicher Selbstständigkeit usw. Danach folgt ein Themenblock zu Ressourcen (z.B. Freiheitsgrade in der Arbeit, Wertschätzung von Auftraggeber*innen), einer zu Belastungen (z.B. Zeitdruck, überzogene Forderungen) und ein weiterer zu Einkommen und Sicherheit (z.B. Verhältnis von Einkünften zu den Lebenshaltungskosten). Es wird nicht nur gefragt, ob bestimmte Arbeitsbedingungen vorliegen, sondern auch, wie diese eingeschätzt werden. Es geht also nicht um objektive Werte, sondern konkretes individuelles Erleben. Einige Fragen werden sicher auch Denkanstöße geben, denn oftmals wird die eigene Arbeit im Alltag nicht ständig reflektiert oder hinterfragt. Das ist durchaus beabsichtigt. Uns haben mittlerweile auch schon einige Rückmeldungen erreicht, dass das auch als besonderer Mehrwert der Umfrage erlebt wird. Wir sammeln nicht nur Daten, sondern geben quasi ein Selbstreflexionsinstrument an die Hand. Davon ausgehend kann man schauen, wo Stellschrauben in der eigenen Arbeitssituation sind, die auch in der eigenen Hand liegen.
RD: Der Fragebogen umfasst ziemlich viele Bereiche. Ihn gewissenhaft zu beantworten, dauert rund 20 Minuten. Weil wir wissen, dass Zeit für viele Solo-Selbstständige eine knappe Ressource ist, haben wir die Möglichkeit eingebaut, die Beantwortung der Fragen zu unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen. So hoffen wir, dass keine*r zeitlich überfordert wird und recht viele Solo-Selbstständige an der Erhebung teilnehmen. Denn je mehr Datensätze wir haben, desto aussagekräftiger werden die Ergebnisse sein.
Wen habt ihr denn so bisher damit erreicht?
RD: Tatsächlich konnten wir in der Zwischenauswertung eine relativ große Bandbreite an Berufen erkennen, das heißt, es haben sich ebenso solo-selbstständige Hebammen durch den Fragebogen geklickt, als auch Solo-Selbstständige aus den Bereichen Innenausbau und Zimmerei, Tourismus und Kosmetik, aber eher vereinzelt. Größere Teilnehmer*innenzahlen haben wir im Bereich Journalismus und Redaktion, aber auch Übersetzer*innen haben viele teilgenommen, ebenso Lehrkräfte und Leute, die in der Veranstaltungstechnik arbeiten. Unser Wunsch ist es ja, dass wir in den einzelnen Berufen oder zumindest Branchen so viele Leute erreichen, dass wir auch Branchenauswertungen vornehmen können und dann aus den Vergleichen lernen können. Um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen, hoffen wir auf eine große Bandbreite auch mit Blick auf Berufe, Alter und Einkommen, damit wir wirklich ein Bild darüber bekommen, wie es Solo-Selbstständigen in Deutschland mit Blick auf ihre Arbeitsbedingungen geht. Dafür jedoch, braucht es mehr Teilnehmende, deswegen der Appell nochmal: Verbreitet die Erhebung und tragt für eine Sichtbarkeit auch eurer Berufe bei.
Was soll mit den Ergebnissen der Umfrage passieren?
RD: Nach der Auswertung der Befragung, wollen wir die Ergebnisse natürlich öffentlich machen und mit den Interessenvertretungen diskutieren: Wo hat unsere Umfrage neue Einblicke gebracht? Was deckt sich auch mit ihren Erfahrungen und wird nun mit Daten unterfüttert? Wir wollen das erhobene Wissen den Verbänden für ihre Arbeit zur Verfügung stellen. Dafür haben wir eine Veranstaltung in Form einer Praxiswerkstatt mit Verbänden und Kammern für März 2025 geplant.
PP: Die Umfrageergebnisse helfen zu erkennen, wo Handlungs- und Gestaltungsbedarf besteht. Es geht ja darum, die Rahmenbedingungen, unter denen Solo-Selbstständige arbeiten, so zu gestalten, dass sie für sich selbst passende, gute Arbeitsbedingungen schaffen können. Es gibt ein paar Felder, auf denen Solo-Selbstständige das nicht selbst in der Hand haben.
Relevant ist zum einen die Arbeitsbeziehung zu Auftraggebenden: Da können die Umfrageergebnisse hoffentlich Punkte aufzeigen, wie diese von beiden Seiten im Sinne guter Arbeit gestaltet werden kann. Da ist aber zum anderen auch der Gesetzgeber: welche Beiträge Solo-Selbstständige zur Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zahlen müssen oder welche Rentenansprüche sie mit ihrer solo-selbstständigen Arbeit erwerben, ist total relevant. Oder wenn es um Ausschreibungen öffentlicher Dienststellen oder Institutionen geht, haben Solo-Selbstständige oftmals keine Spielräume in der Honorarhöhe, denn die Kommunen müssen Vorgaben der Auftragsvergabe einhalten. Hier können die Umfrageergebnisse Interessenvertretungen von Solo-Selbstständigen helfen, Forderungen im politischen Raum mit Fakten zu untersetzen.
Es geht es aber auch insgesamt um eine Sensibilisierung von Solo-Selbstständigen und ihren Interessenvertretungen für das Thema Arbeitsbelastung und letztlich Gesundheit.
RD: Wir sehen uns als HDS hier als Dienstleister für Initiativen und Verbände. Sie können die Umfrageergebnisse nutzen, um ihre politische Arbeit und Interessenvertretung von Solo-Selbstständigen voranzutreiben. Da die Branchen so breitgefächert sind und die Arbeitsbedingungen in ihnen so vielfältig, ist es wirklich notwendig, dass viele Solo-Selbstständige sich an der Erhebung beteiligen. So bekommen wir auch Licht in die kleineren Nischen unserer Arbeitswelt.
AR: Wir wollen mit der Erhebung v.a. auch dazu beizutragen, das Thema Gute Arbeit für Solo-Selbstständige überhaupt mehr in die öffentliche und politische Diskussion einzubringen und damit auch die Arbeit der Selbstständigen sichtbarer zu machen. Wir forschen zu Arbeitsbedingungen, aber Gute Arbeit ist politisch. Was Gute Arbeit konkret bedeutet und wie gute Arbeitsbedingungen zu gestalten sind, wird gesellschaftlich und politisch verhandelt bzw. konkretisiert. Das ist natürlich das Feld der Interessenvertretungen von Solo-Selbstständigen, wir hoffen, ihnen dafür gutes Material an die Hand geben zu können.
Danke für das Gespräch, Anne, Rina und Pia.
Hört euch dazu auch unseren Podcast an, in dem Pia und Rina das „wieso-weshalb-warum“ ausführlich und allgemeinverständlich erklären!
Und vor allem: BITTE NEHMT AN DER UMFRAGE TEIL! JETZT MITMACHEN!
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