„Mutmacher“ oder „Warum ich gerne Kursleiter*innen an Volkshochschulen beforsche“


Ich arbeite in der Wissenschaft – zum einen an meiner Doktorarbeit, zum anderen im wissenschaftlichen Teilprojekt des Hauses der Selbständigen, wo ich mich mit Erwachsenenbildner*innen befasse. Da gehört es zur Arbeit, sich auf unzähligen E-Mail-Verteilern zu tummeln: So lernt man die neuesten Bücher und Forschungsergebnisse kennen, erfährt von kommenden Tagungen, Konferenzen und Kolleg*innen. Bei mir ist die Protestforschung dabei, die Soziologie, die Erwachsenenbildung und noch ein paar andere. Alles ist interessant, aber um ehrlich zu sein: Meistens stöhne ich unter der E-Mail-Flut und fühle mich gut, wenn ich einfach alle E-Mails löschen kann. Kahlschlag halt.

Nicht löschen, lieber YouTube schauen

Vor Kurzem wollte ich mir wieder einen solchen Wohlfühlmoment verschaffen. Da blieb mein Blick auf einer E-Mail hängen: Betreff „Situation freiberuflicher KL“. Die kam von Prof. Dieter Nittel, der auf eine Diskussionsrunde in seinem YouTube-Format „Dialog Erwachsenenbildung“ hinwies. KL steht für „Kursleiter“ bzw. „Kursleiterin“. Das sind die Solo-Selbstständigen, die für meist viel zu wenig Geld Erwachsenen Bildung vermitteln, z.B. an Volkshochschulen. Mit deren Situation und damit, wie Kursleiter*innen versuchen diese zu verbessern, indem sie eigene Vertretungen gründen, beschäftige ich mich in meiner Doktorarbeit und im Haus der Selbständigen.

Kursleiter*innen mit prekärer Arbeit belohnt

‚Wow‘, dachte ich also, ‚das ist doch genau mein Thema!‘, und zog mir Freitagabend eine 1,5-stündige virtuelle Diskussionsrunde rein. Alle, die seit über einem Jahr im Homeoffice sitzen, von Videokonferenz zu Videokonferenz tingeln und denen abends die Augen aus dem Kopf fallen, wissen, dass es Schöneres gibt. Aber es hat sich gelohnt!

Dort saßen Kursleiter*innen, die an Volkshochschulen vor allem Deutsch für Migrant*innen unterrichten. Die meisten tun das im Hauptberuf und wollen von ihrer Arbeit leben können. Die Kursleiter*innen argumentierten, dass sie einen öffentlichen Bildungsauftrag erfüllen, haben studiert, Weiterbildungen besucht und werden dafür mit prekären Arbeitsverhältnissen „belohnt“. Was heißt das? Sie verdienen wenig – meist etwas über 20€/h, außer in den Deutschkursen, die vom BAMF bezahlt werden (41€/h). Denkt zum Vergleich daran, wieviel die Arbeitsstunde einer Handwerkerin kostet, wenn Eure Waschmaschine nicht läuft! Sie sind schlecht sozial abgesichert und den meisten droht Altersarmut – das kennt man sonst z.B. von Fachverkäufer*innen, Pflegekräften oder Reinigungspersonal. Als Selbstständige dürfen sie in ihren Einrichtungen nicht mitbestimmen – Betriebs- und Personalräte gelten für sie nicht – und auch in die Organisationsstrukturen und das „Betriebsleben“ sind sie nicht eingebunden: Fachbereichstreffen? Weihnachtsfeier? Pustekuchen! Dabei sind sie das Gesicht ihrer Einrichtungen. Sie wissen nicht, ob sie in einem halben Jahr weiter von ihrer Einrichtung beauftragt werden. Corona hat die bestehenden Probleme nur verschärft: „Schon vor der Krise war es alles prekär, jetzt ist es katastrophal“, sagt einer der Teilnehmer.

Zusammenschließen, solidarisch sein, Lichtblicke schaffen

Das Schöne in dieser Misere: Meiner Beobachtung nach lassen sich diese Kursleiter und Kursleiterinnen nicht unterkriegen. Im Gegenteil! Seit Jahren kämpfen sie und unterstützen sich – erst recht in Krisenzeiten. Dabei spricht so viel dagegen: Im Arbeitsalltag begegnen sie sich kaum, als Selbständige konkurrieren sie um Aufträge und so manche Einrichtungsleitung sieht es nicht gern, wenn Kursleiter*innen sich selbst organisieren.

Dennoch schließen sie sich zusammen und sind solidarisch: In Mannheim zum Beispiel haben Dozierende schon lange Geld in einen gemeinsamen Topf eingezahlt, um Kolleg*innen in Krisen über die Runden zu helfen – quasi eine gemeinsame Sozialkasse. In Corona-Zeiten haben sie sich damit gegenseitig unterstützt. Immer wieder gelingt es Verbesserungen durchsetzen: In Bremen z.B. wurde 2019 eine Rahmenvereinbarung mit dem Land ausgehandelt, die vorsieht, dass die Honorare steigen und sich das Land an den Sozialversicherungsbeiträgen beteiligt. In Köln konnte 2020 die Stadt dazu bewegt werden, allen Dozent*innen Ausfallhonorare zu zahlen, nachdem die Volkshochschulen in der Corona-Pandemie von heute auf morgen geschlossen wurden.

Bei den politisch aktiven Kursleiter*innen, die ich kennenlernen konnte, hat mich vieles beeindruckt: Die Hartnäckigkeit und der Mut. Die Solidarität. Das große Bewusstsein für die eigene Lage und deren Ursachen. Das strategische Denken. Die Kreativität der Aktionen.[1]

All das macht mir selber Mut, wenn ich an die vielen Branchen denke, in denen Solo-Selbstständige prekär arbeiten. Es macht mir Lust, mich weiter damit zu beschäftigen, wie Solo-Selbstständige sich organisieren und Interessen durchsetzen können.

Darum forsche ich gerne zu Dozent*innen in der Erwachsenenbildung.






[1] Zum Beispiel: https://biwifo-sat.verdi.de/themen/++co++db70d120-28d9-11eb-8802-001a4a160100?fbclid=IwAR3RGtI3Su8iaja1h7Z1XduTecbQu10djKXxVYtDre8EpqzyDJq5SXQebUU oder https://www.dafdaz-lehrkraefte.de/2020/09/10/15-september-protestaktion-in-hannover/

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