Eine neue Expertise der ArbeitGestalten Beratungsgesellschaft im Projekt Haus der Selbstständigen eröffnet interessante Einblicke zu Erwerbshybridisierung im Kontext der Solo-Selbstständigkeit in Deutschland.
Solo-Selbstständigkeit hat in den letzten Jahren im Kontext der Erwerbshybridisierung an Bedeutung gewonnen, d.h. abhängige und selbstständige Erwerbstätigkeiten werden vermehrt zeitgleich oder aufeinanderfolgend ausgeübt. Dies betrifft nach aktuellen Zahlen bis zu 3,5 Millionen Personen, wovon 90 Prozent die Solo-Selbstständigkeit nebenberuflich ausüben. Die Motivlagen und Lebensrealitäten dieser Erwerbskonstellation sind dabei sehr unterschiedlich. Im Idealfall kann von der sozialen Absicherung in der Hauptbeschäftigung und dem Autonomieversprechen der Selbstständigkeit zugleich profitiert werden. In der Realität ist es komplizierter und sollte sowohl in der Forschung als auch bei der arbeitsmarktpolitischen Ausgestaltung von (Solo-)Selbstständigkeit berücksichtigt werden. In diesem Sinn werden in der aktuellen Studie „Eine Statusfrage? Einflüsse aus dem Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht“ (Mauch und Langer 2025) die strukturellen Push- und Pull-Faktoren für erwerbshybride Konstellationen im Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht untersucht und Handlungs- und Forschungsbedarfe aufgezeigt.
Formen der Erwerbshybridität
Die Gestaltung von Erwerbsbiographien ist heute flexibler denn je. Dabei stoßen sowohl statistische Erfassung als auch wissenschaftlichen Kategorien und sozialpolitischen Rahmenbedingungen an ihre Grenzen. Trotzdem lässt sich sagen, dass die Zahl der hybrid Selbstständigen seit 2018 höher ist, als die der ausschließlich Selbstständigen Personen. Hybride Selbstständigkeit und Solo-Selbstständigkeit sind dabei eng verknüpft. 90 Prozent der hybrid Erwerbstätigen üben ihre Selbstständigkeit solo aus und fast jede:r dritte Solo-Selbstständige ist im Haupterwerb abhängig beschäftigt. Hybrid Arbeitende verfügen über ein überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau und die Altersgruppe der 40- bis 50-Jährigen ist unter ihnen am häufigsten vertreten. Frauen sowie die weiblich geprägten Branchen Erziehung und Unterricht, freiberufliche Dienstleistungen und das Gesundheits- und Sozialwesen sind häufiger in hybriden Konstellationen als in ausschließlicher Selbstständigkeit anzutreffen. Die Einkommensspreizung hingegen ist in der Hybridität deutlich geringer als in der Solo-Selbstständigkeit, wobei Einkünfte von bis zu 5.400 Euro pro Jahr aus der nebenberuflichen Selbstständigkeit für nahezu zwei Drittel die Regel sind.
Gründe für Erwerbshybridität
Die individuelle Entscheidung sowohl selbstständig als auch in Anstellung zu arbeiten, ist in gesellschaftliche Rahmenbedingungen eingebettet und wird durch den Haushaltskontext moderiert. Der Ausbau des Dienstleistungssektors und die Digitalisierung gelten in dieser Hinsicht als strukturelle Faktoren, die hybride Arbeitsmodelle begünstigen. Plattformvermittelte Arbeit wird beispielsweise zum Großteil nebenberuflich ausgeübt. Auch Situationen, in welchen sich die individuelle Schutzbedürftigkeit erhöht, wie beispielsweise die COVID-19 Pandemie oder Elternschaft, machen hybrides Arbeiten attraktiv. In der Forschung wird unterschieden zwischen sogenannten „Push-Faktoren“, die es notwendig machen einer zweiten Erwerbstätigkeit nachzugehen und „Pull-Faktoren“, die eine Nebentätigkeit attraktiv machen, beispielsweise als Herausforderung, Abwechslung oder Qualifizierung. Allerdings geht es nicht nur um die anfängliche Entscheidung, sondern auch darum, ob die Entscheidung für eine Erwerbskonstellation beibehalten wird, also ob sie den Abgleich von Wunsch und Wirklichkeit übersteht. Hierbei ist beispielsweise Prekarität kein zwangsläufiger Grund für die Aufgabe einer Unternehmung, stattdessen lässt sich häufig beobachten, wie Konstellationen aus Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung sich gegenseitig stabilisieren.
Problemlagen der Erwerbshybridisierung im Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht
Der Kern der Untersuchung ist, wie sozial-, arbeits- und steuerrechtlich moderierte Aspekte als Gründe für Erwerbshybridisierung wirksam werden. Die hier vorliegenden Zusammenhänge werden in vier Problemlagen dargelegt. Erstens Absicherungslücken auf individueller Ebene, zweitens Ungleichbehandlung der Erwerbsformen, drittens Regelungslücken und viertens Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme.
Hybride Selbstständigkeit führt häufig zu Absicherungslücken, da nicht für jede Tätigkeit Beiträge an Sozialversicherungsträger zu entrichten sind und deshalb auch keine (vollen) Ansprüche aufgebaut werden, insbesondere mit Blick auf Altersvorsorge, Arbeits- bzw. Auftragslosigkeit, Mutterschaft, Pflege und Invalidität. Häufig ist die Hybridität jedoch nicht nur Auslöser von Absicherungslücken, sondern auch eine Strategie, um eine Teilabsicherung zu erlangen.
Selbstständigkeit und abhängige Beschäftigung werden insbesondere über das Sozialrecht unterschiedlich abgesichert. Die Expertise zeigt, dass die Ausgestaltung der Sozialversicherung eine wichtige Rolle bei der Wahl der Erwerbsform spielen kann. Bisher geht das Sozialrecht von einer erhöhten Schutzbedürftigkeit von abhängig Beschäftigten aus. Diese Annahme ist besonders vor dem Hintergrund der Erwerbshybridisierung fraglich. Dementsprechend gibt es einen Bedarf an Regelungen zur Beitragsfinanzierung hybrider Arbeitsformen, insbesondere im Hinblick auf Kontinuitätserwartungen, Rahmenfristen und Wartezeiten berücksichtigt das aktuelle Sozialversicherungssystem hybride Konstellationen nicht. Eine Regelungslücke wird besonders deutlich bei einer Beispielrechnung für die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (Stand 2024). Bei einem monatlichen Einkommen von 540 € in abhängiger Beschäftigung fällt ein Beitrag von 20 Cent für die Arbeitnehmer:in an. Wird dieselbe Summe in Selbstständigkeit zugrunde gelegt, liegt der Beitrag bei 192,70 €.
Demnach ist die Beitragsbemessung in der gesetzlichen Krankenversicherung fairer zu gestalten, z.B. einkommensbezogen, wie es bereits im Koalitionsvertrag der 24. Bundesregierung (Kabinett Scholz) vereinbart war. Die Differenz zwischen den Beiträgen, die oben bereits für die verschiedenen Tätigkeiten sichtbar wurde, wird durch eine hybride Erwerbskonstellation noch deutlich verstärkt. Bei einem monatlichen Einkommen von 1.200€ aus der Beschäftigung und 1.000€ aus der Selbstständigkeit ergibt sich ein Beitrag von 66,11€. Drehen sich die Einkommen um, so dass 1.200 € aus der selbstständigen Tätigkeit und 1.000 € aus der abhängigen Beschäftigung vorliegen, liegt der Beitrag für die gesetzliche Krankenkasse bei ca. 400 € ohne Krankengeldanspruch.
Zudem ist die Frage, der Vereinbarkeit von Versicherungsverhältnissen in der gesetzlichen Rentenversicherung zu klären. Derzeit ist es sehr unattraktiv, eine Tätigkeit zusätzlich zu einer bereits bestehenden Pflichtversicherung auch auf Antrag pflichtversichern zu lassen.. Gleichzeitig ist es nicht möglich, diese freiwillig zu versichern. Analog zum Übergangsbereich bei abhängigen Beschäftigungen (Midijob) könnte es eine Beitragsentlastung für niedrige Einkommen aus Solo-Selbstständigkeit geben.
In Bezug auf die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme ergibt sich die Frage, inwieweit die Ungleichbehandlung von Erwerbsformen und gleichzeitig die Nicht-Berücksichtigung von Interdependenzen bei hybriden Erwerbsformen, die ohnehin angespannte finanzielle Lage der Sicherungssysteme in Deutschland zusätzlich belastet.
Lest gerne die ausführliche Expertise hier und schreibt uns bei Fragen und Anregungen.
Katrin Mauch und Cosima Langer
ArbeitGestalten Beratungsgesellschaft mbH, Ahlhoff
Havelberger Straße 4, 10557 Berlin
Telefon: 030 280320-75, E-Mail: cosima.langer@arbeitgestaltengmbh.de; katrin.mauch@arbeitgestaltengmbh.de
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