Rückblick: Man kann (nicht) alles haben!

Auftakt der Reihe zum Thema „Solo-Selbstständigkeit und Kind” am 01. Juni 2023 …


Zwischen Flexibilität und Struktur

Deutlicher lässt sich das Spannungsfeld von „SoloS und Kind‘ kaum benennen: Unter ‚Man kann nicht alles haben‘ setzen Kreatives Sachsen in Kooperation mit dem HDS Leipzig die erste von 4 Veranstaltungen ins Rampenlicht. Sie thematisierte die Phase der Familienplanung und eines Kinderwunsches.

Wie passt ein Kind in mein selbständig-tätiges Leben? Wie bekomme ich das alles unter einen Hut? Was muss ich im Vorfeld beachten und planen? Wir sprachen über Flexibilität, Netzwerke, Zeitmanagement und Finanzen. Diskutiert wurde über nötige und erforderliche Rahmenbedingungen für eine verbesserte Vereinbarung von Elternschaft und Solo-Selbständigkeit durch alle Branchen hindurch.

Diese Dialogprozesse dienen dazu, die Bedarfe und Lebensrealitäten selbständig tätiger Personen in Sachsen zu erfassen und dabei zugleich gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln. Unter Moderation von Friederike Kislinger und Frieda Pirnbaum von Kreatives Sachsen fanden sich ein kleines, feines Podium.

Ich möchte nicht erst mit 40 Mutter werden, aber ich schiebe es von Jahr zu Jahr auf, weil Schwangerschaft immer eine Zeit raus aus dem Job heißt. Die ersten zwei Jahre musst du fürs Kind komplett da sein, sagt man mir. Zwei Jahre ohne Social media! Da kann ich auch gleich aufgeben. Also allein, wenn ich schon zwei Wochen nichts auf Social media poste, bin ich eigentlich nicht mehr existent.

Cary, Musikerin

Cary, 31, ist seit 11 Jahren hauptberuflich mit eigener Band unterwegs als Songwriterin, mit eigenem Label und eigener Booking Agentur. In den spannenden ersten Jahren ihrer beruflichen Karriere wird der Wunsch nach Kindern in ihr immer lauter. Als Solos-Selbstständige in der Kulturbranche fühlt sie sich jedoch nicht gut abgesichert und weiß nicht, wie sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen soll. Trotz Unterstützung ihres Partners fehlt es ihr vor allem an Vorbildern und medialer Sichtbarkeit von Künstler-Eltern. Während andere Künstlerinnen ihr Muttersein und die beruflichen Herausforderungen, die damit einhergehen, fast schon verstecken, sucht Cary nach Strategien, das Leben von Musiker*innen familientauglicher zu gestalten.

Karl Kirsch ist Anfang 60 und seit 30 Jahren freier Dozent und hat als Vater von zwei 26-jährigen Töchtern mit der Familienplanung abgeschlossen. Beruflich angefangen als Autor spielte er nach der Geburt der Zwillinge verschiedene Finanzierungsmodelle einer Familie durch. Als er sich schließlich alleinerziehend voll auf seine Töchter konzentrierte, verlor er die Verbindung zum beruflichen Netzwerk und finanzierte seine Familie vor allem durch Kleinprojekte, die genug Flexibilität für die eigene Familie mit sich brachten. Dies rächt sich nun Jahre später bei der fast nicht vorhandenen Altersabsicherung. Karl erklärt, welche Konsequenzen Kinder für den eigenen Berufsalltag mit sich bringen und verlangt deutliche Signale in Politik und Gewerkschaften, um Selbstständige sowohl in der Altersabsicherung und Krankenversicherung als auch Kinder von Selbstständigen in ihrer Entwicklung zu fördern.

Auch in spannenden zwei Stunden Diskussion konnten viele interessante Punkte doch nur angerissen werden. Dennoch zeigen sich einzelne Thesen oder Meinungsbilder:

  • Elternschaft ist immer eine Mischung aus verschiedenen Einzellösungen, die innerhalb der Familie gefunden und umgesetzt werden. Diese Lösungen sind sehr individuell, aber der Erfahrungsaustausch gibt immer wieder Inspiration untereinander.
  • Zum Austausch der Erfahrungen bedarf es einer gemeinsamen Plattform, die branchenübergreifend von Eltern und Selbstständigen genutzt werden kann.
  • Um mehr Gehör in der Politik, beispielsweise in Bezug auf Krankenversicherung, Elterngeld und Altersabsicherung von Selbstständigen, bedarf es starker Initiativen und Gewerkschaften.
  • Auch wenn die Sichtbarkeit von Eltern, bzw. die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für viele Menschen mit Kinderwunsch ein wichtiges Signal verstanden wird, ist es vollkommen nachvollziehbar, dass Künstler*innen die Rollen zwischen privat und beruflich nach außen hin trennen wollen.
  • Väter sollten medial sichtbar sein und ihre Rollen, auch in Bezug auf die Mütter darstellen, genauso wie Mütter die eigene und die Rolle des Vaters zeigen und damit normalisieren sollten.
  • Weiterhin werden Kinder bzw. Familie als etwas Unnatürliches im Arbeitszusammenhang wahrgenommen. Hier ist ein gesellschaftliches Umdenken nötig, damit Familie nicht nur als Teil des Privatlebens ausgeblendet, sondern auch als berufliches und gesellschaftliches Potential erkannt werden kann.
  • Städtische Servicestellen sind oft schlecht über das Elterngeld für Selbstständige sowie deren Berechnung informiert. Hier bedarf es einer Vereinfachung der Berechnung und einer gezielten Weiterbildung des Personals.
  • Es fehlt das gesellschaftliche Sicherheitsnetz. Sich als Familie immer weiter in Teilzeit gedrängt zu fühlen. ist politisch ein gefährliches Signal und läuft auf mangelnde Absicherung im Alter und im Krankheitsfall hinaus.
  • Die Zeit, die Soloselbstständige für die Akquise nutzen bekommen sie nicht entlohnt, dieses Ungleichgewicht wirkt sich auf die Altersvorsorge aus.
  • Berufliche Netzwerke von Selbstständigen mit Familie können den Wechsel des beruflichen Netzwerkes nach der Geburt auffangen. Hier begegnet man sich auf Augenhöhe und mit Verständnis für die Lebensrealität von Beruf und Familie.
  • Universitäten und Hochschulen müssen den Studierenden Handwerkszeug für Selbstständigkeit mitbringen. Auch wenn es im Studium nur einen kleinen Teil interessiert, sollte es auch einen Anlaufpunkt für Familie und Selbstständigkeit geben.
  • Niemand im Raum kennt kostenfreie Beratungsstellen für Elterngeld von Solo-Selbstständigen. Eher posten Selbstständige, die das bereits durchlebten, ihre Erfahrungen auf Social Media Kanälen.
  • Es braucht auch einen Kündigungsschutz für Väter.

Ausblick

Es folgen drei weitere Veranstaltungen von Kreatives Sachsen bis Dezember 2023. Thematisch bauen diese aufeinander auf und gehen auf die verschiedenen Phasen und  Lebenssituationen der Solo-Selbständigkeit mit Kind ein: von der Elternzeit bis hin zum Schulabschluss der Kinder.

Es wird über nötige und erforderliche Rahmenbedingungen für eine verbesserte Vereinbarung von Elternschaft und Solo-Selbständigkeit durch alle Branchen hindurch diskutiert. Diese Dialogprozesse dienen dazu, die Bedarfe und Lebensrealitäten selbständig tätiger Personen in Sachsen zu erfassen und dabei zugleich gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln.

Zum Nachlesen

Bereits in der HDS-Veranstaltung im November letzten Jahres „Solo-Selbstständig. Und das mit Kind!“ suchten junge und gestandene Eltern den Austausch in unserem FREIraum. Lest hier >>


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