„Solidarität ist Zukunft“ … Tarifverträge für Solo-Selbstständige? Why not!


Neulich abends saß ich inspiriert und echt begeistert vor meinem Laptop. Ich stehe ja auf Berichte aus der politischen Praxis und hatte gerade Marika Kavouras gelauscht, die in der Diskussionsrunde „Raus aus dem Schleudersitz! Wie lassen sich die Arbeitsplätze für feste Freie sichern?“ von den Aktivitäten der Freienvertretung „rbbPRO“ berichtete. Die Runde fand auf dem diesjährigen Kongress der freien Mitarbeiter*innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vom 20.-22. April 2021 statt.

Viele wissen gar nicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk – Fernsehen, Radio und Online-Angebote – ohne Solo-Selbständige zusammenbrechen würde. Schätzungsweise 18.000 feste Freie bzw. Arbeitnehmerähnliche gestalten das Programm – hinzu kommen Tausende sonstige Freie.

Fest oder frei – Ja, was denn nun?

‚Wie kann man fest frei sein und was zur Hölle sind Arbeitnehmerähnliche?‘ mag man da fragen. Man kann doch nur angestellt – also Arbeitnehmer*in – oder selbständig sein. Oder nicht? Im „Land der Ideen“ (= Deutschland) ist vieles möglich und so kommt es, dass das Arbeitsrecht „arbeitnehmerähnlich Beschäftigte“ kennt. Sie sind wirtschaftlich abhängig von vorwiegend einem Auftraggeber und sozial schutzbedürftig, aber nicht in eine betriebliche Organisation eingebunden und nicht persönlich abhängig. Für sie können Gewerkschaften eigene Tarifverträge abschließen, in denen dann Honorare, Urlaubsentgelte, Zuschüsse zu Sozialversicherungen, Ausfallzahlungen, Auftragsgarantien und anderes mehr festgelegt werden können.

Kündigungsschutz für Freie in Post-Pandemie-Zeiten

Für uns ist das interessant. Im Haus der Selbständigen suchen wir nach Wegen, wie sich die Situation von Solo-Selbständigen verbessern lässt, sammeln dazu Erfahrungen, bereiten sie auf und machen sie öffentlich – perspektivisch über unsere Virtuelle Plattform. 

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es schon seit Jahrzehnten Tarifverträge für freie Mitarbeiter*innen. Worum geht es zur Zeit?: Bestandsschutz für die freien Mitarbeiter*innen im bestehenden Tarifvertrag. Übersetzt in Arbeitnehmer*innenverhältnisse heißt das: Kündigungsschutz.

Es wird prognostiziert, dass öffentliche Haushalte infolge der Corona-Pandemie in den kommenden Jahren sparen und Schulden abbauen werden (E&W 10/2020: 34f.). Man erwartet, dass Einrichtungen, die öffentlich finanziert werden und/oder von Fördermitteln abhängen, darunter leiden werden. Dies könnten sie an ihre Honorarbeschäftigten weitergeben, die dann von einem Bestandschutz profitieren würden. Dazu zählt z.B. auch der Bereich Erwachsenenbildung.

Streik beim RBB?!

Für die Soloselbständigen sind Bestandsschutzgarantien soziale Sicherheit, für Auftraggeber unbequem, denn sie beschränken deren Flexibilität im Umgang mit Personal. Um den Bestandsschutz durchzusetzen, ruft „rbbPRO“ unter dem Motto „Frei im Mai!“ dazu auf, dem RBB vom 1. bis 5. Mai für Aufträge nicht zur Verfügung stehen, d.h. zu streiken. Dieses Mittel ist für Solo-Selbständige äußerst riskant. Was passiert, wenn zu wenige mitmachen? Ein Instrument soll das Risiko minimieren:  Alle können online einen Zähler einsehen, der die Teilnehmer*innenzahl anzeigt: Es soll zum Mitmachen ermutigen und Druck auf die Geschäftsleitung ausüben (30.04., 18 Uhr: 439).

Auch für andere Branchen ein gangbarer Weg?

Mit dem Vorbild des Rundfunks vor Augen haben auch die freien Dozent*innen in der Erwachsenenbildung schon über Tarifverträge für ihre Arbeitnehmerähnlichen nachgedacht. Ganz konkret wurde es in Berlin, wo die Dozent*innenvertretung der Volkshochschulen sogar ihre Webadresse danach benannt hat: www.vhs-tarifvertrag.de 2011 waren sie noch gescheitert, aber 2016/2017 schafften sie es ihre Forderung nach Aufnahme von Tarifverhandlungen im Koalitionsvertrag[1] von SPD, Linke und Grünen zu verankern. Dahin führten viele öffentliche Aktionen – oft zusammen mit den Musikschullehrer*innen, Gespräche mit Politiker*innen, die Unterstützung durch ver.di/GEW sowie eine Dozierendenvertretung, die sich schon seit langem als Ansprechpartnerin von Politik und Verwaltung etabliert hatte.

Der Tarifvertrag scheiterte letztlich am Veto der Tarifgemeinschaft der Länder. Das ist bitter für Solo-Selbstständige und zeigt, wie viele Hürden es auf ihrem Weg zu mehr sozialer Sicherheit gibt. Bessere Arbeitsbedingungen sind in der Geschichte jedoch noch nie vom Himmel gefallen. Mal ging es voran, dann wurde man wieder zurückgeworfen. Mal schien es kein Durchkommen zu geben und plötzlich war der Weg frei. Und so ist auch das Berliner Beispiel Teil eines (hoffnungsvollen) Prozesses, in dem zweierlei sichtbar wird: Erstens, das Instrument des Tarifvertrages für arbeitnehmerähnliche Solo-Selbständige kann auf andere Branchen übertragen werden. Zweitens, es lässt sich etwas bewegen – in diesem Fall mit jahrelanger, kontinuierlicher politischer Arbeit, gewerkschaftlicher Unterstützung, einem guten Timing (Wahlen), aufgeschlossenen Politiker*innen und günstigen Parteienkonstellationen.


 
 [1] file:///Users/piaprobst/Downloads/161116-koalitionsvertrag-final.pdf, S. 92


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