Beitrag zum Kongress der Deutschen und Österreichischen Gesellschaft für Soziologie
Der Ferienzeit zum Trotz fand im August der gemeinsame Kongress deutschsprachiger Soziolog*innen statt. Das übergreifende Tagungsthema – Post-Corona-Gesellschaft? Pandemie, Krise und ihre Folgen – nahm die unser aller Alltag prägende Pandemie und ihre Auswirkungen zum Gegenstand. In der drei tägigen Veranstaltung wurden Forschungsarbeiten zu den diversen Feldern und Nischen der Gesellschaft diskutiert – unter anderem zu den Folgen der Pandemie für Solo-Selbstständige.
Was wissen wir?
Eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Erwerbsgruppe ist aus vielen Gründen wichtig. Ein entscheidender Grund wird in der gegenwärtigen Krise besonders deutlich: Die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit weiß viel zu wenig über Solo-Selbstständige. Vor allem sind die besonderen Erwerbsbedingungen, die irgendwo zwischen klassischen Unternehmer*innen und typischen Arbeitnehmer*innen-Anforderungen liegen, weitgehend unbekannt. Einerseits agieren Solo-Selbstständige unternehmerisch, sind unmittelbar von ihren Erfolgen am Markt abhängig. Andererseits sind sie dabei – wie Arbeitnehmer*innen – auf ihre eigene Arbeitskraft und deren Funktionieren angewiesen[1]. Aus Letzterem geht der Bedarf an Schutz hervor, der Solo-Selbstständige etwa bei Krankheit, Erwerbsausfall, Elternschaft usw. angemessen auffängt. Gerade in diesem Schutzbedarf werden Solo-Selbstständige aber oft nicht gesehen. Vielmehr werden sie als Unternehmer*innen betrachtet, die alleine für sich vorsorgen können. In der Pandemie hat sich besonders drastisch gezeigt, welche Auswirkung diese Annahme hat.
Aber nicht nur in der Öffentlichkeit, auch in der Soziologie ist die Solo-Selbstständigkeit eher randständig. Dabei ist es nicht so, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen Solo-Selbstständiger in den letzten Jahrzehnten keine Beachtung gefunden hätten. Im Gegenteil: Eine große Anzahl Forschender beschäftigt sich seit vielen Jahren mit ihren Lebenslagen und den besonderen Erwerbsanforderungen. Dazu gehören auch die Mitglieder des Arbeitskreises ‚Die Arbeit der Selbstständigen‘, welche die Vortrags-Session zu Solo-Selbstständigen am diesjährigen Kongress für Soziologie organisierten. Die ‚Unsichtbarkeit‘ der Solo-Selbstständigkeit im breiten soziologischen Diskurs ist auf den ersten Blick erstaunlich, korrespondiert aber gewissermaßen mit der Wahrnehmung in der gesellschaftlichen und politischen Öffentlichkeit.
Den Fokus neu ausgerichtet
Die Corona-Pandemie verhalf der Solo-Selbstständigkeit allerdings zu mehr Sichtbarkeit – so der Eindruck. Mit dem ersten Lockdown kamen ihre speziellen Erwerbsbedingungen stärker in den Blick der Öffentlichkeit – vor allem, weil sich zeigte, dass ihnen weder durch das Kurzarbeitergeld noch durch eine Kompensation der Betriebsausgaben geholfen werden konnte. Ein Großteil der Solo-Selbstständigen sind keine Unternehmer*innen im klassischen Sinne, mit Büro, Angestellten und hohen Rücklagen. Diese Botschaft wurde an die Politik aus der Veranstaltung gesendet.
An dieser veränderten Wahrnehmung von Solo-Selbstständigkeit, schließt Lena Schürmann, eine der Organisatorinnen, der Vortrags-Session zu Solo-Selbstständigen an. Sie leitet die Vortragsreihe mit der Frage ein, ob die Corona-Pandemie in Zukunft zumindest dazu führt, die öffentliche Perspektive auf Solo-Selbstständige zu schärfen. Die drei Beträge, die dann folgen, beantworten diese Frage nicht eindeutig – aber eins nach dem anderen. Die Vortragenden beleuchten jeweils spezielle Aspekte solo-selbstständigen Arbeitens, die sich durch die Pandemie veränderten.
Social Media als große Hilfe
Zunächst stellt Alina Sawy von der Universität Klagenfurt die Ergebnisse ihrer qualitativen Studie vor, in der sie fragt, inwieweit soziale Medien die Auswirkungen der Pandemie für Solo-Selbstständige abschwächen konnten. Ziemlich klar zeigt sich, dass Solo-Selbstständige die Nutzung sozialer Medien für ihr Unternehmen deutlich ausweiteten und schärften. Finanzielle Einbußen konnten damit teilweise, in Abhängigkeit der Branche und Tätigkeit aufgefangen werden. Abgesehen von den finanziellen Kompensationsmöglichkeiten können soziale Medien aber die Arbeit effizienter und zeitsparender machen – ein positiver Effekt, den sich die Befragten für die Zeit nach der Pandemie erhalten möchten. Unabhängig von der Ausgangsfrage zeigt die Studie, wie flexibel und schnell Solo-Selbstständige auf die veränderten Anforderungen reagierten und neue Wege ausprobierten, um sich am Markt zu halten.
Solo-Selbstständige im medialen Diskurs
Isabell Stamm (TU Berlin) stellt ihre Untersuchung zur Frage vor, welche Solidarnormen im medialen Diskurs um die Hilfen für Solo-Selbstständige zum Ausdruck kommen und wie diese sich im Laufe der Zeit wandelten. Die Untersuchung beschränkt sich auf die ersten Hilfen für Solo-Selbstständige bis Herbst 2020. Trotz des vergleichsweise kurzen Untersuchungszeitraums zeigt sich eine interessante Verschiebung in der normativen Legitimierung der Hilfen: So wurden zu Beginn der Pandemie vor allem auf den Status als Arbeitende verwiesen, um die Hilfen zu begründen. Dass Solo-Selbstständige ebenso Anspruch auf Unterstützung, wie Arbeitnehmer*innen hätten und ihre ‚Arbeitsplätze‘ erhaltenswert seien. Im Laufe der Zeit wurde in der Begründung zunehmend auf die unternehmerische Dimension verwiesen. So wurden Hilfen stärker damit gerechtfertigt, dass auch Selbstständige etwa Steuern gezahlt hätten. Von einer eher universellen Begründung der Hilfen, die allen zustünden, wurde später viel mehr auf wirtschaftliche Leistungen in der diskursiven Legitimierung verwiesen. Daraus lässt sich schließen, dass trotz der stärkeren Aufmerksamkeit auf Solo-Selbstständige in der Öffentlichkeit, sich die Wahrnehmung nicht ohne Weiteres dauerhaft verändert: Sie werden weiterhin in erster Linie als Unternehmer*innen gesehen und weniger in ihrer Arbeitstätigkeit und damit auch ihrer Schutzbedürftigkeit.
Solo-Selbstständige entwickeln ihre eigenen Bewältigungsstrategien
Loren Grbic, Stephanie Hamader, Christoph Hiemetsberger und Tamara Kriechbaum von der Universität Linz nehmen Künstler*innen und ihre Lebenslage in der Pandemie genauer in den Blick. In ihrem Beitrag „Von Hundert auf Null“ untersuchen sie unter anderem, welche Bewältigungsstrategien solo-selbstständige Künstler*innen entwickeln, mit den Lockdown bedingten Auftragseinbrüchen umzugehen. So hat sich gezeigt, dass einige Befragte sich beruflich neu orientierten oder mehr Stunden im Nebenjob arbeiten. Wichtig für die Bewältigung der Pandemiefolgen sind der Austausch, die wechselseitige Unterstützung und Solidarisierung in Netzwerken – das impliziert auch das Engagement in Interessenorganisationen. Auch die Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung wird genannt, die die finanziellen Einbußen aber nicht auffangen können. In aller Regel werden die drei Strategien im Umgang mit der Pandemie kombiniert. Ganz generell zeigt sich, dass die Befragten ein hohes Bedürfnis nach sozialer Sicherheit haben und das Fehlen derselben drängendes Problem darstellt.
Viele Musiker*innen bereits vor Pandemie prekär
Auch auf die Folgen der Pandemie für Künstler*innen und zwar speziell für die Musikberufe gehen Diana Betzler (SparsNet GmbH) und Dieter Haselbach (Zentrum für Kulturforschung) ein. Sie präsentieren ihre Ergebnisse auf einer anderen Session des Kongresses, welche konkret die aktuelle Situation für Kunst und Kultur in den Blick nimmt. Sie zeigen dabei deutlich, dass solo-selbstständige Musiker*innen besonders stark von Umsatzeinbußen betroffen waren, wobei es Unterschiede zwischen den verschiedenen Ausrichtungen der Tätigkeit gab. So sind Musiker*innen, die vorwiegend in musikpädagogischen Bereich oder in der Musikwirtschaft tätig sind, weniger betroffen als Musiker*innen, die allein mit künstlerischer Arbeit ihr Geld verdienen. Vor allem Musiker*innen, die nur in Selbstständigkeit ihrem Beruf nachgingen, hatten Einkommensausfälle von bis zu 100%. Parallel-abhängige Beschäftigungen können Umsatzeinbußen abfedern, oder höhere Umsätze vor der Pandemie (Musikwirtschaft) ermöglichten höhere Hilfsmaßnahmen. Insgesamt können die Hilfsmaßnahmen nur etwa ein Viertel der Verluste abfedern. Neben diesen unmittelbaren Folgen der Lockdowns für Musiker*innen wird durch die Studie auch deutlich, dass der Beruf auch ohne Pandemie für Viele prekäre Einkommensvoraussetzungen offenbart, die sich wohl nach der Krise weiter verschärfen werden.
Fazit
Die von Lena Schürmann aufgestellte Frage nach der Schärfung der Perspektive auf Solo-Selbstständigkeit ist durch die Beiträge nicht abschließend zu beantworten. Einerseits sind Solo-Selbstständige als Gruppe deutlicher in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Es zeigt sich aber, dass die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit sich schwertut, ihr Bild von Solo-Selbstständigen zu ändern – sie also in ihrer Ähnlichkeit zu Arbeitnehmer*innen und ihrem Schutzbedarf wahrzunehmen. Das hängt auch mit den Institutionen des Sicherungssystems selbst zusammen, deren auf Arbeitnehmer*innen ausgelegte Absicherung nicht ohne weiteres umzustellen sind. Und so fallen wir allzu leicht in das Muster zurück, Solo-Selbstständige als Unternehmer*innen zu adressieren und damit die Notwendigkeit der angemessenen Integration in das Sicherungssystem anzuerkennen. Anders sieht es scheinbar bei den Solo-Selbstständigen selbst aus, die sich flexibel den Marktbedingungen anpassen und sie sich zunehmend in Interessenorganisationen engagieren, wenn man der dargestellten Erkenntnis von Loren Grbic und Kolleg*innen folgt.
[1] Vgl. Pongratz/Abbenhardt 2015.
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