Preisdruck durch KI wird für Solo-Selbstständige ein großes Thema

Das Haus der Selbstständigen NRW  ist mit seiner Auftaktveranstaltung und Podiumsdiskussion zum Thema „Digitalisierung und KI: Schwierige Zeiten für Solo-Selbstständige?“ im Kölner Bürgerzentrum Ehrenfeld am 20. November 2023 nun offiziell gestartet…


HDS goes NRW

Rund 40 Personen von unterschiedlichen Verbänden und Initiativen sowie einzelne Solo-Selbstständige haben vor Ort und weitere 35 online teilgenommen und mitdiskutiert. Gerlinde Vogl, Projektleiterin des HDS bundesweit, und Frank Bethke, Projektleiter des HDS NRW, machten in ihren Begrüßungsreden deutlich, wie wichtig es für Solo-Selbstständige ist, sich zusammenzuschließen und so eine Durchsetzungsmacht zu entwickeln. Besonders mit Blick auf die Politik wies Frank Bethke darauf hin, dass die kollektive Interessenvertretung der Solo-Selbstständigen noch viel stärker und lauter werden muss.

Künstliche Intelligenz in aller Munde

Das wurde auch bei der folgenden Diskussion über die Auswirkungen von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) auf die Tätigkeiten von Solo-Selbstständigen überdeutlich. Insbesondere die Einkommenssituation von Solo-Selbstständigen könnte sich durch den Einsatz von KI verschlechtern.

KI oder artifizielle Intelligenz (AI) ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren. Somit tritt die Technologie in Konkurrenz zu bestimmten menschlichen Tätigkeiten. Generative KI ist in der Lage, Bilder und Grafiken zu erzeugen, Texte zu erstellen oder Musikstücke hervorzubringen. Bei der Mini-Umfrage im Publikum, wer KI-Tools nutzt, gab die Mehrheit an, diese bereits privat wie beruflich zu nutzen. Beispielsweise ChatGPT für Texterstellung oder DeepL für Übersetzungen.

„Gerade bei den Übersetzer*innen, denen von Verlagen KI-generierte Übersetzungen vorgelegt werden, die sie dann korrigieren sollen, zeigen sich diese Auswirkungen“, beschrieb Katharina Mosene. Die Politikwissenschaftlerin beschäftigt sich unter anderem mit ethischen Fragen im KI-Bereich und moderierte die Podiumsdiskussion. Abgesehen davon, dass die Arbeit von Übersetzer*innen unattraktiver und langweiliger wird, literarische Expertise, Erfahrung und Kreativität verloren geht, wird diese auch schlechter honoriert. So entsteht ein Preisdruck für Solo-Selbstständige – ein Race to the bottom, ein Wettlauf nach unten, „und zwar für alle Solo-Selbstständigen“, sagte Jürgen Geuter. Er ist Research Director bei den ART+COM Studios und beschäftigt sich mit Themen an den Schnittstellen von Technologie, Gesellschaft und Politik. „KI-Tools sind „triviale Statistiksysteme, deren Ergebnisse relativ schlecht sind“, meint Geuter. Trotzdem werden sie als vermeintlich billigere Alternative zu menschlicher Arbeitskraft eingesetzt. Auch wenn diese Maschinen oder Softwares nicht denken können, nicht empathisch oder kreativ sind, werden sie benutzt. Solo-Selbstständige, die ihr Einkommen mit Texterstellung, Übersetzung, künstlerischen Tätigkeiten erwirtschaften oder als Berater*innen und Therapeut*innen arbeiten und ihr Wissen, Erfahrung und Kompetenz verkaufen, werden im Wettbewerb mit KI von ihren Auftraggebenden geringere Honorare für ihre Leistung erhalten – oder durch Maschinen ersetzt.

KI versus menschliche Empathie und Intuition?

İlkiz Şentürk und arbeitet selbstständig als psychologische Beraterin, systemischer Coach und in der Erwachsenenbildung – Bereiche, in denen es auf Zwischenmenschlichkeit, Vertrauen und Empathie ankommt. Sie geht auch davon aus, dass in ihrem Bereich KI immer mehr zum Einsatz kommt, auch wenn KI nicht wirklich mit ihrem Beruf konkurrieren könne, weil KI nicht empathisch sein kann. Aber es werde mehr und mehr zur Gewohnheit, dass Menschen sich Apps herunterladen und sich per Chat beraten lassen. Besonders betont sie, dass jede psychologischen Beratungssituation ganz individuell ist, weil die Beraterin und die Klientin individuell sind und jedes Problem vollkommen individuell ist. „Jede Session ist neu und einzigartig.“ Deshalb glaubt sie, dass ihre Arbeit nach wie vor Zukunft haben wird.

Anders erlebt es Jürgen Geuter heute schon in der Firma, für die er arbeitet und die Ausstellungen und interaktive Räume gestaltet: Früher wäre klar gewesen, dass für eine Grafik jemand für zwei Tage beauftragt worden wäre, heute werde aus drei Ergebnissen von ChatGPT ausgewählt und die Grafik nachbearbeitet. Selbst wenn den Auftraggebenden klar wäre, dass die Qualität der KI-generierten Grafik nur mittelmäßig sei, würde für die Nachbearbeitung maximal noch ein halber Tag bezahlt werden. „Diesen Race to the bottom sehen wir an jeder Stelle. Es geht gar nicht darum, ob die Systeme gut sind, sondern darum, dass die Systeme ein Machthebel sind, um Leuten weniger Geld zu geben“, so Geuter.

„Gerade bei Autor*innen oder Grafikdesigner*innen wird so noch einmal mehr an der Daumenschraube gedreht.“ Die Nachbearbeitung sei häufig so aufwändig, dass alle Effizienzgewinne aufgefressen würden, so Geuter.

Auch Programmierer*innen sind betroffen, wenn KI-Tools Codes erstellen. Aber laut Studien ist in 70 Prozent der Fälle der Code falsch, berichtete Jürgen Geuter. „Wir wissen gar nicht, welche Kosten das langfristig mit sich bringt“, wenn wir uns mehr und mehr auf KI verlassen. Er warnte davor, die Ausbildung von Menschen zu ersetzen durch das einfache Bedienen von KI-Tools.

Fehlende staatliche Regulierung

Gerade mit Blick auf urheberrechtlich geschützte Werke von Solo-Selbstständigen wie Bilder, Texte, Übersetzungen oder Musik, mit denen verschiedene KI-Anwendungen gefüttert oder mit ihnen trainiert werden, gebe es noch großen Regelungsbedarf, so Bettina Hesse, ver.di-Referentin für Medienpolitik. Die europäische Urheberrechtslinie, die Directive on Copyright in the Digital Single Market (DMS-Richtlinie), hat Forschungsreinrichtungen ermöglicht, für wissenschaftliche Zwecke Text- und Datenauswertung durchzuführen. Wer jetzt ein KI-Tool trainieren möchte, kann sich an so eine Forschungseinrichtung wenden. So war das zum Beispiel auch bei dem Chatbot ChatGPT und dem Deep-Learning-Text-zu-Bild-Generator Stable Diffuison der Fall, die jetzt kommerziell genutzt werden. „Das ist sicherlich nicht im Sinne der ursprünglichen DMS-Richtlinie gewesen“, sagte Bettina Hesse.

Aber welche Möglichkeiten bleiben jetzt Solo-Selbstständigen, die die Rechte an den Werken haben, mit denen KI-Tools trainiert wurden und die jetzt kommerziell eingesetzt werden? Es gäbe Überlegungen, einen Nutzungsvorbehalt für diese Werke zu formulieren. „Aber es ist rechtlich noch immer nicht klar, wie dieser formuliert werden kann, damit er auch Gültigkeit hat“, erklärte sie weiter. Doch hinter dem Nutzungsvorbehalt steckt nach Meinung von Bettina Hesse noch ein anderes Dilemma: Beispielsweise könnten wir einen Nutzungsvorbehalt gegen das Auswerten unserer Webseite durch Google-Bots formulieren. Google könnte aber dank seiner Monopolstellung entscheiden, dass dann auch unsere Webseite nicht mehr auffindbar ist über die Google-Suche. „Das ist kein Deal, das ist ein Missstand, den der Gesetzgeber beheben muss“, stellte die Medienexpertin fest. An der Stelle brauche es eine Klarstellung in der DMS-Richtlinie und eine explizite Regelung für Urheberrechtsansprüche. Notwendig wäre ein praktikables System mit Nutzungsvorbehalt und für die Rechtevergütung und -verwertung. Die Herausforderung liege darin, dass KI nicht einfach eine Kopie des ursprünglichen Werks erstellt, sondern daraus neuen Inhalt generiert, der nicht rückverfolgbar zum Ursprung ist.

Aktuell können Urheber*innen nur dadurch profitieren, indem sie einen Rechtsverstoß nachweisen und einen Anspruch geltend machen oder Schadensersatz fordern können. „Aber das ist relativ schwierig“, weiß Bettina Hesse. „Die Einkommensfrage für Urheber*innen muss letzten Endes so gelöst werden, dass dieser Raubbau an kreativen Werken gestoppt wird“, forderte sie. Zwar wird in der Europäischen Union gerade der AI Act verhandelt, aber Deutschland sperrt sich gegen eine stärkere Regulierung von KI. „Deswegen würde ich sagen: Als allererster Punkt muss der politische Druck aufgebaut werden. Es muss klar geregelt werden, in welchen Bereichen und unter welchen Voraussetzungen KI eingesetzt werden darf“, stellte die ver.di-Referentin für Medienpolitik fest.

Geschäftsmodell anpassen

„Wir haben heute eine ganz andere Struktur von Solo-Selbständigen, die ganz andere Dienstleistungen und Produkte anbieten, als vor 50 oder 60 Jahren“, sagt Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft. Auch Solo-Selbstständige unterliegen einem ständigen Strukturwandel, der jetzt von einer neuen Technologie vorangetrieben wird. Wenn ein Teil der Erwerbsarbeit heute durch ein KI-Tool erledigt werde, dann müssten sich Solo-Selbstständige fragen, ob ihr Geschäftsmodell wirtschaftlich für die Zukunft noch trage, so Oliver Stettes, der die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt erforscht. Wenn beispielsweise eine Technologie auf den Markt komme, die Übersetzungsdienste billiger anbiete, dann müsse sich die Übersetzer*in neu aufstellen und fragen, welchen Mehrwert zu der Übersetzungsleistung er oder sie anbieten könne.

Marita Alami arbeitet als selbständige Organisationsberaterin, Projekt- und Webentwicklerin und betonte, dass ihre Selbstständigkeit erst durch die Digitalisierung möglich geworden ist. Sie hat das Kölner Frauenportal aufgebaut und kennt dadurch viele Gründerinnen, die aufgrund der Digitalisierung erst ein Geschäftsmodell etablieren konnten, in dem sich Beruf und Familie vereinbaren ließ. Beispielsweise durch mobiles Arbeiten, Betreuung eines Online-Shops oder Online-Beratung von zu Hause.

„Solo-Selbstständige sind beispielsweise als Expert*innen in Unternehmen gefragt, die keine eigene Expertise bei der Umstellung auf neue Technologien haben”, sagte Oliver Stettes. „Die meisten sind auf Expertise angewiesen von jemandem, der oder die das mitbringt, der sie beraten kann als Unternehmen, der schnell verfügbar ist und den sie möglicherweise aber auch nur für den begrenzten Zeitraum brauchen“, erklärte er. „Ich halte nichts von diesen Untergangsszenarien: Uns gehen die Jobs verloren. Die Diskussion führen wir bei jeder Technologie.“ Berufe hätten sich schon immer verändert über die Jahre, bestimmte Jobs seien verschwunden, dafür andere dazugekommen. Die Frage sei: „Wie muss ich meine Kompetenzen weiterentwickeln, um bei diesem technologischen Fortschritt mithalten zu können?“

Auch Marita Alami sieht in den neuen Technologien mehr Chancen als Risiken und betont: „Wir haben es in der Hand, ob die fortschreitende Digitalisierung zu mehr Gerechtigkeit oder zu mehr Ausbeutung führt. Technische Rationalisierungen sollten nicht als Drohkulisse für Erwerbsarbeit dienen.“ Sie sieht außerdem eine Chance darin, durch Automatisierung und Effizienzgewinn Arbeitszeit zu reduzieren – „bei gleichem Entgelt“. Dadurch entstünden mehr Zeit und Kraft für Care-Arbeit, zivilgesellschaftliches Engagement und kulturelle Betätigung. Alami sieht damit auch ein Kernproblem der Geschlechtergerechtigkeit gelöst.

Aus wissenschaftlicher Sicht, so Katharina Mosene, könne man derzeit nicht belegen, dass KI-Arbeitsplätze ersetzen. Beobachtet werde, wie sich Arbeitsplätze verändern oder wie neue Tätigkeiten durch KI entstehen. Hier gelte es auch auszuloten, wo die Potenziale sind und welche Anforderungen dadurch an Solo-Selbstständige gestellt werden, meinte Mosene.

Jürgen Geuter äußerte Zweifel an der Erzählung, dass durch neue Technologie oder KI-Tools neue Jobs geschaffen würden. Solle man heute einer Übersetzerin erzählen, dass sie, statt zu übersetzen, ja Programmiererin werden könne? Er warnte davor, diesen Punkt zu abstrakt zu verhandeln, sondern genau zu schauen, wo und mit welchem Entgelt und für welche Menschen diese Jobs entstehen. Schließlich müsse man auch fragen, ob das Jobs seien, die entstanden sind, weil woanders Menschen ihre Jobs verloren haben. Er nannte den Bereich Medienkunst, wo es eine Handvoll Künstler*innen gebe, die mit KI-generierter Kunst Erfolg haben. Der Raum aber, in dem viele andere Medienkünstler*innen mit ihrer Kunst ein Auskommen haben, breche ein: „Ich glaube, dass man auf die Auswirkungen genauer schauen muss.“

Kollektiv handeln

Um aber an der Stelle nicht individualistisch auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, sieht Bettina Hesse im Austausch und in Netzwerken von Solo-Selbstständigen die Chance, kollektiv den Herausforderungen durch KI zu begegnen. An erster Stelle stehe die Frage, was sich konkret durch den Einsatz von KI bezogen auf die Arbeitsrealität verändere, um dann gemeinsam zu reagieren. Beispielsweise haben die Übersetzer*innen mit der Initiative Kollektive Intelligenz festgestellt, dass ihre Arbeit durch den Einsatz von KI-Tools monoton wird und am Ende es zu keiner Zeitersparnis gekommen ist. Der Streik der Hollywood-Drehbuchautor*innen und später der Schauspieler*innen sei ein sehr ermutigendes Beispiel dafür, um kollektiv gegen die Folgen von KI auf Arbeit und Einkommen vorzugehen. Ergebnis des Streiks ist beispielsweise eine Tarifvereinbarung für Darsteller*innen und Statist*innen, die regelt, dass ihr Einverständnis eingeholt werden muss, bevor ihre Daten digital weiterverarbeitet und damit KI-Tools trainiert werden dürfen. Und wenn sie es erteilen, dann muss das vergütet werden. „Für die digitale Weiterbearbeitung ist sogar einen Mindestsatz festgelegt worden, sowohl was Zeitumfang als auch die Vergütungshöhe angeht“, berichtet Bettina Hesse. Außerdem muss angegeben werden, für welchen Verwendungszweck die Daten eingesetzt werden sollen.

Das zeige, so Bettina Hesse, dass Solo-Selbstständige sich organisieren müssen. So eine Durchsetzungsmacht könne nur eine gewerkschaftliche Organisierung erreichen. Genau hier, so Jürgen Geuter, sei aber noch eine große Lücke bei den Solo-Selbstständigen in Deutschland. Aus dem Publikum rief Mohammad-Ali Behboudi, stellvertretender Kölner Vorsitzender der Bühnengewerkschaft GDBA, auf: „Diese Solidarität und gewerkschaftliche Kraft müssen wir zusammen entwickeln.“

İlkiz Şentürk mahnte: „Es sollte bereits am Beginn der Entwicklung einer Technologie ein menschlich vertretbares Ergebnis die Leitlinie sein. Es sollte dabei nicht die Profitmaximierung des Unternehmens, sondern das gesellschaftliche Wohlergehen im Vordergrund stehen.“ Weil wir auf die Apps oder KI-Tools, die von US-Tech-Firmen entwickelt werden, keinen Einfluss haben, sieht sie hier eine Aufgabe der Politik.

Weiterbildung im KI-Bereich notwendig

Einigkeit herrschte darüber, dass Netzwerken und Austausch unter Solo-Selbstständigen notwendig sind, um sich bei neuen Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. Diese Lücke bei der Weiterbildung von Selbstständigen in Bezug auf KI will Frank Bethke mit als Fragestellung für die Gewerkschaft als Bildungsanbieterin mitnehmen und glaubt, dass das HDS auch entsprechende Beratungsangebote entwickeln kann. Besonders betonte der Projektleiter des HDS NRW noch einmal, wie wichtig es ist, dass sich die Selbstständigen als Gegenmacht organisieren. Dabei kann die Gewerkschaft helfen. Aber auch wenn es um Regulierungen geht, brauche es immer „einen Paten“ der diese Regulierung gestalten kann. Darin sieht er die Aufgabe in ver.di, mit den entsprechenden Ansprechpartner*innen in der Politik ins Gespräch zu kommen.


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